Donnerstag, 25. Dezember 2025

Die Energiewende im Reality-Check - Viele unbequeme Wahrheiten

Ernst Schriefl

Es handelt sich bei diesem Text um ein Kapitel aus dem abschließenden Teil meines Buchs "Raus aus Kohle, Öl und Gas - aber wie? Die Dilemmata der Energiewende". Dieses Kapitel fasst die wesentlichen Inhalte des zentralen Teils des Buchs, welches verschiedene Dilemmata der Energiewende ausführlich erläutert, noch einmal auf kompakte Weise zusammen und diskutiert auch kurz noch weitere Dilemmata.

Das Buch ist im Dezember 2025 im Büchner Verlag erschienen. Hier der Link zur Vorstellung des Buchs auf der Homepage des Büchner Verlags: https://www.buechner-verlag.de/buch/raus-aus-kohle-oel-und-gas-aber-wie


»An Inconvenient Truth« (»Eine unbequeme Wahrheit«), so lautet der Titel eines sehr bekannt gewordenen Dokumentarfilms aus dem Jahr 2006. Im Kern dieses Films steht eine filmisch ausgeschmückte Präsentation von Al Gore (»The Slide Show«), in der er verschiedene Fakten und seine Sicht zum Klimawandel darstellt, um die Öffentlichkeit aufzuklären, aufzurütteln und zum Handeln angesichts der Bedrohungen des Klimawandels zu animieren[1].

Der Film thematisiert eine Wahrheit, die tatsächlich unbequem ist: Der Klimawandel ist da, hat bereits jetzt schlimme Konsequenzen, und die zukünftigen Auswirkungen einer fortschreitenden Erderwärmung werden vermutlich schlimmer, als sich viele das vorstellen können oder wollen. Aber die Existenz einer durch menschliches Handeln verursachten globalen Erwärmung und das bedrohliche Damoklesschwert einer zukünftigen »Klimakatastrophe« sind bei weitem nicht die einzigen unbequemen Wahrheiten, mit denen wir uns konfrontiert sehen. Der Umstand, dass wir keine wirklich gute und leicht umsetzbare Antwort auf die Bewältigung der Klimakrise haben, ist eine mindestens ebenso unbequeme Wahrheit. Die Energiewende in ihrer konventionellen Konzeption als die Antwort auf die Klimakrise geht mit zu vielen Dilemmata einher und weist zu viele Schwachpunkte auf. Das habe ich – zumindest für einige der wichtigsten Dilemmata – versucht, in diesem Buch herauszuarbeiten.

Fassen wir die wichtigsten Eckpunkte, die in den vorigen Abschnitten diskutiert wurden, an dieser Stelle noch einmal zusammen[2].


Findet eine Energiewende überhaupt statt?

Trotz eines bisher durchaus beachtlichen, rasch voranschreitenden globalen Wachstums der erneuerbaren Energien – insbesondere der Photovoltaik- und Windenergiekapazitäten – ist bislang der weltweite Verbrauch an fossilen Energien noch nicht zurückgegangen, sind die globalen Kohlendioxidemissionen noch nicht gesunken. Die Fortschritte im Ausbau der Erneuerbaren wurden durch das generelle Wachstum des Energieverbrauchs quasi »aufgefressen«[3]. Das scheinbar paradoxe Phänomen einer gleichzeitig stattfindenden Zunahme von erneuerbarer und fossiler Energienutzung zeigt sich besonders deutlich bei den aufstrebenden asiatischen Ökonomien, insbesondere bei China und Indien.

Eine starke Abhängigkeit der erneuerbaren Energien von den fossilen Energien ist in zumindest zweifacher Hinsicht gegeben: Erstens aufgrund der hohen Backup-Kapazitäten (zumeist aus fossil betriebenen Kraftwerken bestehend), welche für Zeiten vorgehalten werden, wenn zu wenig Ertrag aus Sonnen- und Windenergie kommt. Zweitens resultiert für den Ausbau der Erneuerbaren selbst ein erheblicher Energiebedarf, welcher überwiegend aus fossilen Energien gedeckt wird. Je schneller dieser Ausbau erfolgt, desto mehr Energie und Rohstoffe müssen zunächst in den Aufbau der Produktionskapazitäten (Fabriken) und in die Produktion der Technologien selbst gesteckt werden.

Aufgrund der hohen Abhängigkeit des Ausbaus der erneuerbaren Kapazitäten von fossilen Energien – die wohl noch längere Zeit so bleiben wird – und der hohen »extraktiven Kosten« für die Gewinnung der notwendigen Rohstoffe für die Energiewende-Technologien, stellen einzelne Autoren und Forscher den Begriff »erneuerbare Energien« grundsätzlich in Frage beziehungsweise lehnen diesen ab. Wie beispielsweise Alexander Dunlap, Research Fellow am Institute for Global Sustainability der Boston University, der sich dafür ausspricht, statt des Begriffs »erneuerbare Energien« den Begriff »Fossil fuel+«-Technologien zu verwenden[4]:

»Die Dichotomie von guter und schlechter Energie – schlechte fossile Brennstoffe versus gute erneuerbare Energien – […] ist irreführend, wenn nicht sogar völlig falsch. Dieses Kapitel argumentiert, dass es so etwas wie erneuerbare Energien, wie wir den Begriff normalerweise verwenden, in Wirklichkeit nicht gibt. Die Infrastrukturen für erneuerbare Energien beruhen selbst auf fossilen Brennstoffen oder sind bestenfalls »Fossil Fuel+«-Technologien. »Fossil fuel+ technologies« ist der passendere Begriff für erneuerbare Energien.«


Speicherbedarf und Versorgungssicherheit

Die Kapazitäten der Stromspeicherung müssten in einem Energiesystem, das zu einhundert Prozent auf erneuerbaren Energien beruht, in enormen Maß steigen[5]. Das gilt insbesondere für die saisonale Speicherung bzw. Langzeitstromspeicherung, die notwendig ist, um längere Dunkelflauten zu überbrücken.

Wenn man den gesamten Speicherbedarf (für Kurz- und Langzeitspeicherung) betrachtet, ergeben Abschätzungen, dass für Deutschland eine Erhöhung der Speicherkapazität um etwa den Faktor 1000 (!) notwendig wäre. Während einige Länder (wie Österreich oder die Schweiz) aufgrund der Existenz von Pumpspeichern in dieser Hinsicht etwas besser aufgestellt sind, dürfte für viele andere Länder und Weltregionen ein ähnlicher Ausbaubedarf der Speicherkapazitäten wie in Deutschland gelten (unter der Zielsetzung, ein Energiesystem, das zu einhundert Prozent auf erneuerbaren Energien beruht, aufzubauen).

Die Rückverstromung von Wasserstoff in wasserstofffähigen Gaskraftwerken gilt zurzeit als die aussichtsreichste Technologie, um saisonale Energiedefizite in großem Maßstab auszugleichen. Dafür müssten zuerst riesige Mengen an Wasserstoff durch Elektrolyse erzeugt, zwischengespeichert und schließlich bei Bedarf rückverstromt werden. Für die Speicherung derart großer Mengen an Wasserstoff kommen nach jetzigem Kenntnisstand eigentlich nur große unterirdische Kavernenspeicher, eventuell auch unterirdische Porenspeicher in Frage.

Ob es gelingen kann, derart hohe Elektrolyse- und Speicherkapazitäten – insbesondere für die saisonale Speicherung – in der kurzen Zeit von zwei (bis maximal drei) Jahrzehnten aufzubauen, ist höchst fraglich. Für die Umrüstung und Neuerrichtung von wasserstofftauglichen Kavernenspeichern sind lange Zeiträume und hohe Investitionskosten zu bedenken. Bei Porenspeichern ist noch weiterer Forschungsbedarf erforderlich, um deren Eignung für die Wasserstoffspeicherung bewerten zu können.

Um die Menge an Wasserstoff durch Elektrolyse herzustellen, die nach aktuellen Abschätzungen notwendig wäre, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu garantieren, müsste mehr als das Doppelte der derzeit in Österreich insgesamt verbrauchten Strommenge aufgewendet werden. Und die Rückverstromung ist nur einer der zukünftig geplanten Einsatzbereiche von Wasserstoff.

Bereits jetzt, wo die Ausbauziele für die Erneuerbaren (Photovoltaik und Windenergie) noch lange nicht erreicht sind, wird (neben der Problematik des Umgangs mit Defiziten in der Stromerzeugung) auch die Thematik des Umgangs mit temporären Stromüberschüssen immer bedeutender und brisanter. Das hat nicht zuletzt der Sommer 2024 gezeigt, wo das Schlagwort vom »Solarinfarkt« in medialen Überschriften kursierte. Bei einem Erreichen der Ausbauziele für 2035 könnten Photovoltaikanlagen in Deutschland während der Mittagsspitze mehr als dreimal (!) so viel Strom produzieren als zu diesem Zeitpunkt für den Verbrauch benötigt würde. Das sind riesige Überschüsse, die erst irgendwie »weggebracht« werden müssen beziehungsweise im besten Fall möglichst sinnvoll genutzt werden sollten. Voraussichtlich werden auch sehr hohe Strommengen abgeregelt werden müssen.

Das antizipierte Stromsystem der Zukunft, das zu einhundert Prozent auf erneuerbaren Energien basieren und noch eine Reihe von zusätzlichen Aufgaben aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung übernehmen soll, wird deutlich komplexer. Ob dies in der Praxis alles so funktionieren wird, wie man das in Modellrechnungen und Computersimulationen abbilden kann, darf bezweifelt werden. Was zurzeit beobachtbar ist, ist ein Hineinstolpern in diesen angestrebten Wunschzustand des perfekten Zusammenspiels der verschiedenen Flexibilitätsoptionen. Aufgrund der steigenden Komplexität wird das Stromsystem auch verletzlicher und angreifbarer.

Im Zweifelsfall dürfte die Versorgungssicherheit allerdings einen höheren Stellenwert als der Klimaschutz und der damit verbundene möglichst rasche Abbau fossiler Kraftwerkskapazitäten haben. Sollte es trotz dieser Prioritätenreihung dennoch zu einem Blackout kommen und würde dieser mit der Energiewende ursächlich in Zusammenhang gebracht werden können, wäre der Imageschaden für diese selbstredend massiv.


Wasserstoffwirtschaft – Grüner Wasserstoff

»Grüner Wasserstoff« gilt als einer der Hoffnungsträger der Energiewende[6]. Eine wesentliche Frage ist jene der Skalierbarkeit, also wie groß eine Wasserstoffwirtschaft werden könnte. Denn selbst wenn Wasserstoff »nur« in jenen Bereichen angewendet würde, wo dessen Einsatz in weitgehender Übereinstimmung verschiedener Studien und Strategiepapiere als sinnvoll erachtet wird – für die saisonale Speicherung, für die Industrie und für andere Bereiche, die schwer elektrifizierbar sind, wäre die Dimension einer zukünftigen Wasserstoffwirtschaft gewaltig. Es gibt aber verschiedene wesentliche Problempunkte einer Wasserstoffwirtschaft, die deren Umsetz- und Skalierbarkeit deutlich begrenzen dürften:

+       Eine Wasserstoffwirtschaft geht mit sehr hohen Umwandlungsverlusten einher. Diese entstehen in der gesamten Wasserstoff-Prozesskette, von Erzeugung über Speicherung, Transport bis schließlich zur Anwendung.

+       Im Gegensatz zu fossilen Energieträgern, die bereits in gespeicherter Form vorliegen, muss Wasserstoff erst aufwändig (zwischen-)gespeichert werden. Auch dieser Schritt geht mit entsprechenden Kosten und Infrastrukturaufwand einher und verschlechtert die Energie- und Ökobilanz von Wasserstoff.

+       Wird (grüner) Wasserstoff in großem Stil erzeugt, verursacht das einen entsprechend hohen Wasserbedarf für die Wasserelektrolyse. Insbesondere in Regionen, die bereits jetzt von Trockenheit geplagt sind, erhöht dies den Wasserstress.

+       In einer umfassenden Lebenszyklus-Betrachtung hat Wasserstoff eine fragwürdige bis schlechte Öko- bzw. Klimabilanz. Das gilt selbst für den Hoffnungsträger grünen Wasserstoff, für die anderen Wasserstofferzeugungsarten (blauer Wasserstoff, türkiser Wasserstoff etc.) umso mehr. Bei genauerem Hinsehen ist also der grüne Wasserstoff gar nicht so grün.

+       Insbesondere für die Dekarbonisierung der Industrie (aber auch für die saisonale Stromspeicherung, siehe oben) ergäbe sich ein riesiger Wasserstoffbedarf, wenn die Industrie ihr derzeitiges Produktionsvolumen beibehielte. Die schiere Größe einer eventuellen, zukünftigen Wasserstoffwirtschaft und der dafür benötigte Ausbaubedarf an erneuerbarer Stromerzeugungskapazität sind durchaus schwindelerregend.

+       Auch die Rohstoffverfügbarkeit dürfte in einer hochskalierten Wasserstoffwirtschaft kritisch werden. Beispielsweise ergäbe sich eine sehr hohe Nachfrage nach Platingruppen-Metallen bei einer entsprechenden Hochskalierung von PEM-Elektrolyseuren.

+       Weitere kritische Aspekte einer Wasserstoffwirtschaft betreffen die Sicherheitsthematik beim Umgang mit Wasserstoff, raschere Materialermüdung durch die Einwirkung von Wasserstoff, eine eventuelle Anreichung von Wasserdampf in der Atmosphäre und die damit verbundene Klimawirksamkeit, oder ein möglicher unwirtschaftlicher Betrieb von Elektrolyseuren, die bevorzugt mit Überschussstrom betrieben werden sollen.


Energieimporte

Großzügig bemessene Energieimporte spielen eine gewichtige Rolle in vielen Energiewendeszenarien und -strategien (bezogen auf Deutschland, sowie auch auf Europa generell)[7]. Die Idee, Strom über Hochspannungs-Gleichstromleitungen transkontinental zu transportieren (Desertec-Konzept), wurde zwar deutlich zurückgestuft, der großräumige Transport von Wasserstoff und dessen Derivaten über Pipelines oder Schiffe steht aber nach wie vor als Zukunftsperspektive hoch im Kurs.

In den möglichen Exportländern liegt allerdings für den – bei weitem – größten Teil der geplanten Wasserstoffprojekte noch keine Investitionsentscheidung vor. Die meisten der angedachten Exportländer, insbesondere Länder aus der MENA-Region, haben noch sehr geringe Anteile an erneuerbarer Erzeugung in ihrem Elektrizitätsmix. Für solche Länder ist daher die Forderung naheliegend, dass sie zuerst ihre eigene Energieversorgung auf erneuerbare Energien umstellen sollten, bevor sie große Photovoltaikplantagen und Windenergiefarmen errichten, die Wasserstoff oder Derivate von Wasserstoff für den Export produzieren.

Die meisten der anvisierten Exportländer sind auch von hohem bis sehr hohem Wasserstress betroffen. Neben einer Erhöhung des Wasserstresses (durch die Produktion von Wasserstoff) kann es zu weiteren negativen Folgen für die lokalen Ökosysteme in den Exportländern kommen. Aufgrund des großen Flächenbedarfs für die Erzeugung von grünem Wasserstoff in großem Stil sind Landnutzungskonflikte möglich und wahrscheinlich.

Sollen aus Wasserstoff E-Fuels produziert werden, muss auch eine ausreichende Quelle für Kohlendioxid erschlossen werden. Biomasse ist in den meisten der potenziellen Exportländer selten, Anlagen mit »Direct Air Capture« sind bisher kaum vorgesehen. Zusammen mit den sehr hohen Kosten aufgrund großer Umwandlungsverluste und einer generell aufwändigen Herstellung sind E-Fuels sehr kritisch in Frage zu stellen.

Für Wasserstoff existiert zurzeit noch keine Transportinfrastruktur in größerem Maßstab. Das gilt für den regionalen und erst recht für den internationalen bzw. transkontinentalen Transport. Die beiden grundsätzlich möglichen Transportoptionen sind Pipelines oder Schiffstransporte, wobei bei letzterer Option der Wasserstoff verflüssigt oder in Ammoniak umgewandelt werden müsste, was wiederum mit entsprechendem Energieaufwand und Kosten einhergeht. Hohe Transportkosten für Wasserstoff können den Vorteil geringerer Produktionskosten in den potenziellen Exportländern wieder aufwiegen oder sogar ins Gegenteil verkehren. Die zurzeit verfügbaren Schiffskapazitäten für den Transport von flüssigem Wasserstoff sind noch sehr gering.

Es sei also vor zu optimistischen Erwartungen gewarnt, was zukünftige Importvolumina von Wasserstoff (und dessen Derivaten) nach Europa betrifft. Das gilt ganz sicher für die unmittelbare Zukunft (bis 2030/35), aber die grundsätzlichen Fragezeichen einer erfolgreichen Umsetzung gelten auch für die folgenden Jahrzehnte.


Rolle der Kernenergie

Die Bedeutung der Kernenergie ist in einer globalen Sicht seit Jahrzehnten rückläufig[8]. Der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung, bezogen auf die gesamte Welt, erreichte 1996 ein Maximum mit 17,5 Prozent, ist seitdem stetig im Sinken begriffen und lag 2023 gerade noch bei 9,2 Prozent. Seit einem Vierteljahrhundert stagniert die gesamte Stromerzeugung aus allen weltweit betriebenen Kernreaktoren bei etwa 2.500 bis 2.600 Terawattstunden (TWh), mit leichten Auf- und Abbewegungen.

Grob lassen sich hinsichtlich der Bautätigkeit von Kernreaktoren drei Phasen unterscheiden: Aufstieg (von 1951 bis 1979), Abstieg (von 1980 bis 2004), Konsolidierung und Stagnation (von 2005 bis 2024). Ab 2005 setzte, nach mehr als 20 Jahren eines Rückgangs der Bautätigkeit, wieder ein leichter Aufwärtstrend ein, getragen allerdings fast ausschließlich durch die Entwicklung in China.

Die wenigen Kernkraft-Projekte, die in den ursprünglichen »Kernländern« der Kernenergienutzung (USA, Frankreich, Großbritannien, Finnland) in den letzten Jahrzehnten tatsächlich in Angriff genommen wurden, waren (und sind) von massiven Bauzeit- und Kostenüberschreitungen gekennzeichnet, was das Image der Kernenergie als teure und schwer skalierbare Technologie verfestigte. Allerdings sticht auch in dieser Hinsicht wieder China mit einer gegenläufigen Entwicklung geringerer Bauzeiten heraus.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen und der Trends der letzten Jahrzehnte scheint eine echte Trendwende, eine »Renaissance« der Kernenergie nicht in Sicht. Das eher bescheidene Ziel, zunächst einmal den Abwärtstrend der Kernenergie (im Sinne eines sinkenden Anteils an der weltweiten Stromerzeugung) zu stoppen, dürfte bereits eine nicht zu unterschätzende Herausforderung werden. Auch neuartige Reaktorkonzepte, wie insbesondere die »Small Modular Reactors«, in die einige große Hoffnungen setzen, dürften aller Voraussicht nach nicht die großen Game Changer werden, ihr Beitrag zur Stromerzeugung und einer eventuellen Reduktion von CO2-Emissionen dürfte bescheiden bleiben.

Selbst wenn man die vielfältigen schwierigen Themen rund um die Kernenergie (Endlagerung, aufwändiger Rückbau, fragwürdige Wirtschaftlichkeit, Proliferations- und Störfallrisiken, in einer weiteren Perspektive auch die Verfügbarkeit von günstigem Uran) einmal ausblendet – alleine der Blick auf die Skalierbarkeit reicht aus, um deren zukünftige Bedeutung zu relativieren. Die Kernenergie wird zwar nicht verschwinden, in einigen Ländern wird sie auch hinkünftig einen relevanten Beitrag zur Stromerzeugung leisten, zu große Erwartungen hinsichtlich ihrer zukünftigen Bedeutung sollte man aber auch nicht hegen.


Die Nettoenergiebilanz der Erneuerbaren

In der Nettoenergieanalyse ist der sogenannte EROEI (Energy Return on Energy Invested) eine Schlüsselgröße[9]. Obwohl die Relevanz der Nettoenergieperspektive unmittelbar einleuchtet, wird sie in den wesentlichen Modellen und Studien, die zur Politikberatung verwendet werden, zumeist vernachlässigt.

In der wissenschaftlichen Fachliteratur ist der EROEI Gegenstand einer fallweise durchaus heftig geführten Kontroverse. Der Wahl der Systemgrenzen kommt bei der Interpretation der Ergebnisse eine besondere Bedeutung zu. Während die meisten Studien enge Systemgrenzen wählen und somit »nur« den sogenannten Standard EROEI berechnen, ist der Extended EROEI mit weiteren Systemgrenzen der relevantere Indikator, wenn es darum geht, den Anteil der Nettoenergie, der einer Gesellschaft für alle Arten von nutzbringenden Anwendungen außerhalb des Energiesektors übrigbleibt, zu bestimmen.

Der Extended EROEI für Photovoltaik und Windenergie, den beiden »Hoffnungsträger-Technologien« der Energiewende, dürfte vermutlich relativ gering sein (zwischen 1 und 3). Hinzu kommt, dass sich während der Phase eines beschleunigten Ausbaus der erneuerbaren Energien die statischen Werte für den EROEI noch weiter verringern, sodass sich über eine längere Phase ein kumuliertes Nettoenergie-Defizit aufbauen kann – die sogenannte »Energiefalle«. Über einen relativ langen Zeitraum muss so mehr Energie investiert werden, als bezogen werden kann.

Der Antwort auf die Frage, wie hoch der minimale EROEI für das Funktionieren einer komplexen Gesellschaft und das Aufrechterhalten zivilisatorischer Standards sein sollte, wohnt eine zugegebenermaßen spekulative Komponente inne. Es deutet allerdings vieles darauf hin, dass es in dieser Hinsicht eng werden könnte, wenn das Energiesystem weitgehend auf erneuerbare Energien umgestellt wird. Insbesondere das Narrativ des »Grünen Wachstums« (»Green Growth«), das implizit oder explizit den meisten Energiewende-Szenarien zugrundeliegt, wird auch durch Nettoenergie-Betrachtungen schwer in Frage gestellt.


Der »Hunger« nach Metallen für die Energiewende

Der Energiesektor, dessen Bedarf nach Metallen bislang eher gering war, wird durch den geplanten raschen Ausbau der Energiewende-Technologien zu einem der großen Treiber für die Nachfrage nach einigen Schlüsselmetallen[10]. Gemäß einem umfangreichen Bericht der Internationalen Energieagentur steigt in einem Szenario, das die Ziele des Pariser Klimaabkommens (von 2015) erfüllt, der Anteil der Energiewende-Technologien an der Gesamtnachfrage nach verschiedenen Metallen in den nächsten zwei Jahrzehnten deutlich: auf über 40 % für Kupfer und Seltene Erden, auf 60 bis 70 % für Nickel und Kobalt und auf fast 90 % für Lithium. Im Vergleich zur 2020 benötigten Menge für die Energiewende-Technologien steigt gemäß diesem Szenario die Nachfrage nach Lithium um den Faktor 42, für Kobalt um den Faktor 21, für Nickel um den Faktor 19 und für Seltene Erden um den Faktor 7.

Die zurzeit existierenden und geplanten Bergbaukapazitäten reichen bei weitem nicht aus, um diesen rasch wachsenden Bedarf befriedigen zu können. Bereits in naher Zukunft könnte sich eine erhebliche Schere zwischen dem Bedarf, der durch die Erreichung bestimmter Ausbauziele gegeben ist, und dem tatsächlichen Angebot an verschiedenen wichtigen Metallen für die Energiewende (zum Beispiel Kupfer, Lithium oder Kobalt) ergeben. Eine Erhöhung der Bergbaukapazitäten stößt an Grenzen, wofür es mehrere schwerwiegende Gründe gibt: lange Projektentwicklungszeiten, sich verringernde Qualität der Erze, höhere Umwelt- und Sozialstandards für den Bergbau und Erschwernisse, die sich aufgrund der fortschreitenden Klimaerwärmung ergeben (hoher Wasserstress bzw. -mangel).

Der Großteil der wichtigsten mineralischen Rohstoffe für die Energiewende stammt aus wenigen Ländern und Weltregionen. Insbesondere hinsichtlich der Verarbeitung der wichtigsten mineralischen Rohstoffe (bzw. Metalle) für die Energiewende hat sich China in den letzten Jahrzehnten einen Status als Beinahe-Monopolist erarbeitet, was China auch entsprechende politische Druckmittel in die Hand gibt.

Die Summe der Umweltbelastungen und sozialen Verwerfungen, die aufgrund des Bergbaus resultieren, ist enorm. Aber nicht nur der Rohstoffabbau für Energiewende-Technologien, auch die Gewinnung der fossilen Energierohstoffe (inkl. Uranbergbau) gehen in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern mit massiven Umweltproblemen, schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und sozialen Konflikten einher.

Höhere Umwelt- und Sozialstandards führen zu höheren Kosten des Bergbaus und wären nur mit verbindlichen internationalen Regulierungen und Überprüfungen flächendeckend umsetzbar. Zudem gibt es inhärente Grenzen einer Verbesserung der Umwelt- und Energiebilanz des Bergbaus aufgrund des sich stetig verringernden Erzgehalts der Gesteine. Spürbare Verknappungen bei verschiedenen Schlüsselmetallen werden den Preisdruck auf verschiedene Energiewende-Technologien erhöhen. Ob eine deutliche Dematerialisierung der Energiewende-Technologien als auch eine ausreichende Ausweitung der Förderung kritischer Rohstoffe möglich sind, um bestimmte politisch definierte Ausbauziele zu erreichen, bleibt höchst fraglich.


Fortsetzung folgt – Was an »unbequemen Wahrheiten« noch dazukommt

Über diese unbequemen Wahrheiten hinaus gibt es weitere kritische Problembereiche, die – wie auch bereits in der Einleitung erwähnt – durchaus ebenso Beachtung verdient hätten:

+       Die umstrittene und begrenzte Rolle der Biomasse: Die energetische Nutzung biogener Rohstoffe (oft als »Biomasse« bezeichnet) wird zurzeit deutlich kritischer gesehen als noch vor etwa 20 Jahren, als ein Biotreibstoffhype durch die europäischen Lande schwappte, welcher allerdings bereits damals eine intensive Diskussion auslöste[11]. Biotreibstoffe wurden mittlerweile als »Agrotreibstoffe« terminologisch und in ihrer Bedeutung zurückgestuft.

Aber auch die energetische Nutzung von Holz ist mittlerweile durchaus heftig umstritten. Beispielsweise wurde am 11. Februar 2021 ein von über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterzeichneter Appell an die Präsidenten der USA, der EU, Japans und Südkoreas gerichtet, in welchem eindringlich die energetische Nutzung von Holz kritisiert wurde und die angesprochenen Regierungen dazu aufgefordert wurden, Förderungen für die energetische Nutzung von Holz einzustellen[12]. Auch der WWF und andere Umweltverbände schlagen in eine ähnliche Kerbe. Ein Kernargument gegen die energetische Nutzung von Holz ist, dass der Kohlenstoffspeicher Wald möglichst als Kohlenstoffsenke erhalten bleiben soll[13]. Als ein Resultat dieser Diskussion hat das deutsche Umweltbundesamt die bisher gering bewerteten CO2-Emissionen durch die Verbrennung von Holz deutlich angepasst, indem es die direkten CO2-Emissionen aus der Holzverbrennung in die Bewertung inkludiert hat[14]. Die energetische Nutzung von Biomasse wird in der Regel nur mehr dann als unproblematisch gesehen, wenn es sich um die Nutzung von Reststoffen handelt.

+       Naturschutz versus Klimaschutz: Mehr Windräder, mehr Freiflächen-Photovoltaikanlagen, mehr Pumpspeicherkraftwerke – all das sind auch Eingriffe in »die Natur«, beziehungsweise häufig in eine mehr oder weniger natürliche Kulturlandschaft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der deutlich sichtbare Umbau der Kulturlandschaften sowie die Beeinträchtigung weitgehend naturbelassener Lebensräume im Zuge der Energiewende auch Naturschützerinnen und Naturschützer mit der Forderung auf den Plan gerufen hat, dass die Energiewende naturverträglich sein müsse. Doch dieser Naturverträglichkeit sind Grenzen gesetzt.

Es gibt zahlreiche Überschneidungen von bereits vorhandenen und zukünftig geplanten Anlagen für die Nutzung erneuerbarer Energien (Wind- und Solarparks, Wasserkraftwerke) mit wichtigen Naturschutzgebieten, die potenziell die Ziele der Erhaltung der biologischen Vielfalt gefährden. Dies hat eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit aus 2020 gezeigt, welche die weltweite Situation in dieser Hinsicht analysiert hat[15]. Eine strategische Planung, die Grenzen für die Entwicklung von erneuerbaren Energieanlagen innerhalb wichtiger Schutzgebiete setzt, ist daher eine Kernforderung dieser Analyse.

+       Die gesellschaftliche Akzeptanz: Der teilweise erbittert geführte Widerstand von Bürgerinitiativen gegen den Bau von Windenergieanlagen weist deutlich auf ein weiteres Konfliktfeld hin. Hier gibt es Querbezüge zur Naturschutzthematik, auch wenn diese beim Bürgerprotest nicht unbedingt im Vordergrund stehen muss. Auch wenn es nur eine »laute Minderheit« sein sollte, die hier – insbesondere gegen Windenergieanlagen – ins Feld zieht, so ist diese doch durchaus wirkmächtig.

+       Langzeitperspektive, Rezyklierbarkeit und Kreislaufwirtschaft: Selbst wenn der Aufbau einer riesigen, auf erneuerbaren Energien beruhenden neuen Infrastruktur in relativ kurzer Zeit gelänge – diese muss schließlich (wie alles andere auch) laufend erneuert werden. Und diese laufende Erneuerung braucht wiederum Ressourcen. Hier ist die Frage – und diese Frage stellt sich letztlich für alle wirtschaftlichen Aktivitäten – inwieweit Rohstoffe, die für diese laufende Erneuerung und Wartung benötigt werden, rezyklierbar sind, also im Sinne einer Kreislaufwirtschaft im Kreis geführt werden können. Die bisherige Umsetzung der Energiewende ist noch stark »extraktivistisch« geprägt, beruht also in erheblichem Ausmaß auf nicht rezyklierten, neu gewonnenen Rohstoffen[16]. Recycling steckt im Zusammenhang mit den Schlüsseltechnologien der Energiewende in vieler Hinsicht noch in den Kinderschuhen. Beispielsweise werden ausgediente Photovoltaikmodule häufig einfach weggeworfen beziehungsweise deren wertvolle Inhaltsstoffe nur teilweise rezykliert[17].

+       Kosten, Finanzierbarkeit und Wirtschaftlichkeit: Die Schlüsseltechnologien Photovoltaik und Windenergie sollen bereits die billigsten Möglichkeiten zur Stromerzeugung geworden sein – diese Aussage steht im Raum. Wenn dem so ist, warum setzen sich diese Technologien dann nicht quasi »von alleine« durch (und sind häufig nach wie vor von der jeweiligen Förderpolitik abhängig, wenn auch in abnehmendem Ausmaß) und warum sind gerade in jenen Ländern mit dem höchsten Ausbaugrad an erneuerbaren Stromerzeugungstechnologien, wie Deutschland oder Dänemark, die Strompreise am höchsten?

Bei einer ehrlichen Kostenbilanzierung müssten auch die Kosten für die Backup-Systeme (sei es jetzt ein Backup aus fossil betriebenen oder – wie zukünftig angestrebt – wasserstofffähigen Kraftwerken oder auf der Basis von Batterie- und anderen Speichern) und der erforderliche Netzausbau miteinbezogen werden. Eine schlechte Wirtschaftlichkeit – welcher technologischen Option auch immer – kann auch ein Hinweis auf deren schlechte energetische Bilanz sein, was bedeutet, dass diese also vergleichsweise wenig Nettoenergie liefert.

+       Der Faktor Zeit und andere knappe Ressourcen: Ist ein »Durchpeitschen« der Energiewende (etwa im Sinne einer »Energierevolution« à la Volker und Cornelia Quaschning[18] oder auch gängiger politischer Zielvorstellungen) in der relativ kurzen Zeit von wenigen (etwa zwei weiteren) Jahrzehnten überhaupt möglich – selbst bei einem hohen Ausmaß an politischem Willen und gesellschaftlicher Akzeptanz? Je schneller etwas umgesetzt werden soll, desto mehr sind Verknappungen in verschiedener Hinsicht zu erwarten[19], die sich auch jetzt bereits zeigen: Etwa Verknappungen bei gut ausgebildeten Fachkräften, die eine enorme Zahl an neuen Anlagen planen, errichten, in Betrieb nehmen und warten sollen. Wenn ein Nachfrage-Hype einsetzt, mit dem das Angebot nicht mithalten kann, führt das auch zu erheblichen Preissteigerungen und langen Wartezeiten, wie das auch in der Inflationskrise von 2022/2023 beobachtet werden konnte. Preissteigerungen, lange Wartezeiten in der Produktion und ein Mangel an Fachkräften wirken naheliegenderweise bremsend.

+       Carbon Leakage und das »Grüne Paradoxon«: Was bringt eine Energiewende, wenn sie nur einseitig in einigen Ländern beziehungsweise einem Teil der Welt betrieben wird? Letztlich zählen ja die globalen Emissionen, die deutlich und schnell reduziert werden müssten. Wenn es in einzelnen Weltregionen tatsächlich gelingen sollte, den Verbrauch fossiler Energieträger infolge einer ökologisch orientierten Politik nennenswert zu reduzieren, könnte es dennoch sein, dass diese Reduktion durch einen Mehrverbrauch in anderen Weltregionen (über-)kompensiert wird. Hans-Werner Sinn nennt diesen Effekt das »Grüne Paradoxon«, es kann auch als eine Form des weiter gefassten »Carbon Leakage« aufgefasst werden[20].

+       Energiewende, Kapitalismus und Deindustrialisierung: Es gibt starke Indizien dafür, dass eine hoch industrialisierte, hoch mobile, arbeitsteilige und vernetzte Gesellschaft mit einem Energiesystem, das vorwiegend oder zur Gänze auf erneuerbaren Energiequellen beruht, nicht (oder nur unzureichend) kompatibel ist. Wenn dem so ist, ist nicht nur mittel- und langfristig die Perspektive weiteren wirtschaftlichen Wachstums in Frage gestellt, zumindest die entwickelten Industriegesellschaften müssten im Grunde wirtschaftlich »schrumpfen«[21]. Dies rüttelt an den Grundfesten unseres Wirtschaftssystems, das – wenn man ihm eher gewogen ist – als liberale Marktwirtschaft, von Kritikerinnen und Kritikern aber gerne auch als Kapitalismus bezeichnet wird. Ulrike Herrmann hat diese Thematik in ihrem Buch »Das Ende des Kapitalismus« aufgegriffen[22], sie ist aber bei weitem nicht die erste, die in eine derartige Richtung argumentiert[23]. Eine »echte Energiewende« ist somit – konsequent weitergedacht – auch ein Deindustrialisierungsprogramm. Nicht nur für Deutschland und Europa, sondern im Grunde für (fast) die ganze Welt. Eine weitere unbequeme Wahrheit, die vielen nicht schmecken wird[24].

In Summe gibt es also viele – allzu viele – unbequeme Wahrheiten und bedeutsame Dilemmata, die es höchst fragwürdig erscheinen lassen, dass sich eine Energiewende in der erhofften, erwünschten oder geplanten Form tatsächlich umsetzen lassen könnte, insbesondere dann, wenn sie nicht nur regional begrenzt ist, sondern eine globale Dimension erreichen soll[25] (und auch, wenn man die Geschwindigkeit bedenkt, mit der sie vonstatten gehen soll). Das sollte aus dem bisher Geschriebenen klar geworden sein.

An dieser Stelle ist mir aber auch wichtig festzuhalten, dass das genaue Herausarbeiten der Schwachstellen und Dilemmata der Energiewende kein willkommener Anlass für Häme und Polemik sein soll (indem etwa einzelnen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, Parteien oder Interessensgruppen die Schuld an der Misere zugeschoben wird, uns auf das »Energiewende-Narrenschiff« verfrachtet zu haben[26]). Wer eine wirklich bessere Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit hat, möge vortreten.

Denn die von verschiedenen Kritikerinnen und Kritikern am gängigen Kurs der Energiewende klar bevorzugte Alternative der Kernenergie weist auch deutliche Beschränkungen auf (wie im Kapitel »Die Kontroversen um die Kernenergie« umfassend dargestellt wurde). Die Kritik am vorzeitigen Abschalten noch gut funktionsfähiger Kernkraftwerke, wie das in Deutschland mit dem Kernenergieausstieg umgesetzt wurde, mag zwar durchaus ihre Berechtigung haben. Eine echte großmaßstäbliche Alternative wäre die Kernenergie aber nur dann, wenn nicht nur die Laufzeiten bestehender Kraftwerke verlängert würden, sondern auch ein massives Neubauprogramm für Kernreaktoren verfolgt würde. Ein solches Programm ist nicht einmal in den großen Kernenergie-Ländern, die sich weiterhin klar zur Nutzung der Kernenergie bekennen (wie den USA oder Frankreich) in Sicht. In Deutschland wäre ein derartiges Programm – selbst wenn die Laufzeitverlängerungen gelungen wären und bestehende Kernkraftwerke noch 10 oder 20 Jahre hätten weiterlaufen können – vermutlich von massivem Widerstand begleitet und somit höchst unwahrscheinlich in der Umsetzung.

Bei aller Kritik an der Energiewende sei also auch zur Bescheidenheit gemahnt. Denn die großen »Game Changer« außerhalb des Spektrums an Optionen, das normalerweise von Energiewende-Szenarien beschrieben wird, sind nicht in Sicht (siehe dazu auch das abschließende Kapitel »Einige Gedanken zum Abschluss«). Auch müssen wir über den Tellerrand einer – insbesondere in Deutschland – hitzig geführten Debatte blicken, die suggeriert, dass sich Deutschland in seiner Vorreiterrolle im Zusammenhang mit der Energiewende besonders ungeschickt anstelle und von allen anderen Ländern übervorteilt und abgehängt würde. Es geht aber um viel mehr als die Entwicklungen in Deutschland. Letztlich wirken die Dilemmata im Zusammenhang mit der Energiewende im globalen Maßstab, sie betreffen die gesamte Menschheit. Und es gibt zwar einige Ansatzpunkte für mögliche Antworten auf die Herausforderungen der Klimakrise beziehungsweise der allgemeineren ökologischen Krise, die aber auch vielen nicht besonders schmecken werden[27].



[1] https://en.wikipedia.org/wiki/An_Inconvenient_Truth#Synopsis (abgerufen am 4.5.2025)

[2] Da die in diesem Abschnitt zusammengefassten Eckpunkte und wesentlichen Erkenntnisse bereits in den vorigen Teilen (hauptsächlich in Teil 3, fallweise auch in Teil 1 und Teil 2) ausführlicher besprochen wurden, sind hier in der Regel keine Verweise auf Quellen angeführt – diese befinden sich in den jeweiligen Kapiteln.

[3] Der relative Anteil der Erneuerbaren (insbesondere an der Stromerzeugung) ist zwar in der Vergangenheit gestiegen, dieser relative Anstieg konnte aber nicht verhindern, dass gleichzeitig der absolute Einsatz von fossilen Energieträgern trotzdem auch gestiegen ist, siehe dazu auch das Kapitel »Energiewende – wo stehen wir jetzt? – Eine globale Perspektive« am Ende von Teil 1.

[4] Dunlap (2021), S. 84; eigene Übersetzung

[5] Für Details, inklusive entsprechende Quellenverweise, siehe Kapitel »Keine Angst vor Dunkelflauten und Blackout? – Der enorme Speicherbedarf für die Energiewende« im Teil 3.

[6] Für Details siehe Kap. »Grüner Wasserstoff – der lang erwartete Problemlöser?«, Teil 3.

[7] Für Details siehe Kapitel »Der Traum vom ›Wüstenstrom‹ – Wie realistisch sind großräumige Energieimporte?«,Teil 3.

[8] Für Details siehe Kapitel »Die Kontroversen um die Kernenergie – Welche Rolle könnte sie in Zukunft spielen?«, Teil 3.

[9] Für Details siehe Kapitel »Wie viel Energie bleibt unterm Strich übrig – Die Nettoenergieperspektive«, Teil 3.

[10] Für Details siehe Kapitel »Materialschlachten– Reichen die Rohstoffe für die Energiewende?«, Teil 3.

[11] 2003 trat die als »EU-Biokraftstoffrichtlinie« bekannte Richtlinie 2003/30/EG in Kraft. Diese Richtlinie wurde 2009 durch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RL 2009/28/EG) aufgehoben. Seit 2009 wird bezüglich der Regelungen zu Biotreibstoffen auf EU-Ebene versucht, auf »Nachhaltigkeitsaspekte« mehr Wert zu legen.

[12] »Letter Regarding Use of Forests for Bioenergy«, https://plattform-wald-klima.de/wp-content/uploads/2021/02/Scientist-Letter-to-Biden-von-der-Leyen-Michel-Suga-Moon-Re.-Forest-Biomass-February-11-2021.pdf (abgerufen am 11.5.2025)

[13] »Wie Holzverbrennung den Klimawandel befeuert«, https://www.wwf.de/themen-projekte/waelder/wald-und-klima/wie-holzverbrennung-den-klimawandel-befeuert (abgerufen am 11.5.2025)

[14] https://www.umweltbundesamt.de/themen/berechnung-der-co2-emissionen-aus-dem-heizen-holz (abgerufen am 11.5.2025)

[15] Rehbein et al. (2020)

[16] Siehe dazu auch das Kapitel »Materialschlachten – Reichen die Rohstoffe für die Energiewende« (Teil 3).

[17] »Recycling wanted! Riesige Berge an Photovoltaik-Altmodulen«, https://www.recovery-worldwide.com/de/artikel/riesige-berge-an-photovoltaik-altmodulen-3994899.html (abgerufen am 11.5.2025)

[18] Quaschning/Quaschning (2022)

[19] Verknappungen im Bereich wichtiger Rohstoffe wurden bereits oben diskutiert.

[20] Sinn (2008a), Sinn (2008b), Schriefl (2021), S. 243–255

[21] Im Grunde gilt die Perspektive einer notwendigen wirtschaftlichen Schrumpfung mindestens auch für die aufstrebenden Schwellenländer, zumindest stellt sie deren weitere Wachstumsperspektive stark in Frage.

[22] Herrmann (2022)

[23] Siehe z.B. Kern (2019), Kern (2024), Sarkar (2001), Sarkar (2024), Trainer (2007), Heinberg (2011).

[24] Siehe dazu auch die Ausführungen im folgenden Kapitel »Geordneter Rückzug oder Kollaps«.

[25] Für eine ausführliche Beschreibung der gängigen Vorstellungen einer Energiewende siehe Teil 2 (»Die Perspektiven und Wunschbilder der Energiewende«). Neben den »Big 5«-Studien, die Deutschland im Fokus haben, gibt es auch eine ganze Reihe an Studien und Szenarien mit einer globalen Perspektive, die also ein ähnliches Programm für die ganze Welt ausrollen, siehe dazu für eine Übersicht Breyer et al. (2022).

[26] Siehe z.B. »Manfred Haferburg: Mit dem Energiewende-Narrenschiff mit voller Fahrt aufs Riff«, https://www.youtube.com/watch?v=QoOVwPN_P5A (abgerufen am 11.5.2025)

[27] Siehe dazu auch das folgende Kapitel »Geordneter Rückzug oder Kollaps«.

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