Ernst Schriefl
Es handelt sich bei diesem Text um ein Kapitel aus dem abschließenden Teil meines Buchs "Raus aus Kohle, Öl und Gas - aber wie? Die Dilemmata der Energiewende". Dieses Kapitel fasst die wesentlichen Inhalte des zentralen Teils des Buchs, welches verschiedene Dilemmata der Energiewende ausführlich erläutert, noch einmal auf kompakte Weise zusammen und diskutiert auch kurz noch weitere Dilemmata.
Das Buch ist im Dezember 2025 im Büchner Verlag erschienen. Hier der Link zur Vorstellung des Buchs auf der Homepage des Büchner Verlags: https://www.buechner-verlag.de/buch/raus-aus-kohle-oel-und-gas-aber-wie
»An Inconvenient Truth« (»Eine
unbequeme Wahrheit«), so lautet der Titel eines sehr bekannt gewordenen
Dokumentarfilms aus dem Jahr 2006. Im Kern dieses Films steht eine filmisch
ausgeschmückte Präsentation von Al Gore (»The Slide Show«), in der er
verschiedene Fakten und seine Sicht zum Klimawandel darstellt, um die
Öffentlichkeit aufzuklären, aufzurütteln und zum Handeln angesichts der
Bedrohungen des Klimawandels zu animieren[1].
Der Film thematisiert eine Wahrheit,
die tatsächlich unbequem ist: Der Klimawandel ist da, hat bereits jetzt
schlimme Konsequenzen, und die zukünftigen Auswirkungen einer fortschreitenden
Erderwärmung werden vermutlich schlimmer, als sich viele das vorstellen können
oder wollen. Aber die Existenz einer durch menschliches Handeln verursachten
globalen Erwärmung und das bedrohliche Damoklesschwert einer zukünftigen »Klimakatastrophe«
sind bei weitem nicht die einzigen unbequemen Wahrheiten, mit denen wir uns
konfrontiert sehen. Der Umstand, dass wir keine wirklich gute und leicht
umsetzbare Antwort auf die Bewältigung der Klimakrise haben, ist eine
mindestens ebenso unbequeme Wahrheit. Die Energiewende
in ihrer konventionellen Konzeption als die Antwort auf die Klimakrise
geht mit zu vielen Dilemmata einher und weist zu viele Schwachpunkte auf.
Das habe ich – zumindest für einige der wichtigsten Dilemmata – versucht, in
diesem Buch herauszuarbeiten.
Fassen wir die wichtigsten Eckpunkte, die in den vorigen Abschnitten diskutiert wurden, an dieser Stelle
noch einmal zusammen[2].
Findet eine Energiewende überhaupt statt?
Trotz
eines bisher durchaus beachtlichen, rasch voranschreitenden globalen Wachstums
der erneuerbaren Energien – insbesondere der Photovoltaik- und Windenergiekapazitäten
– ist bislang der weltweite Verbrauch an fossilen Energien noch nicht
zurückgegangen, sind die globalen Kohlendioxidemissionen noch nicht gesunken.
Die Fortschritte im Ausbau der Erneuerbaren wurden durch das generelle Wachstum
des Energieverbrauchs quasi »aufgefressen«[3]. Das scheinbar paradoxe Phänomen einer gleichzeitig stattfindenden
Zunahme von erneuerbarer und fossiler Energienutzung zeigt sich besonders
deutlich bei den aufstrebenden asiatischen Ökonomien, insbesondere bei China
und Indien.
Eine starke Abhängigkeit der
erneuerbaren Energien von den fossilen Energien ist in zumindest zweifacher
Hinsicht gegeben: Erstens aufgrund der hohen Backup-Kapazitäten (zumeist aus
fossil betriebenen Kraftwerken bestehend), welche für Zeiten vorgehalten
werden, wenn zu wenig Ertrag aus Sonnen- und Windenergie kommt. Zweitens
resultiert für den Ausbau der Erneuerbaren selbst ein erheblicher
Energiebedarf, welcher überwiegend aus fossilen Energien gedeckt wird. Je
schneller dieser Ausbau erfolgt, desto mehr Energie und Rohstoffe müssen
zunächst in den Aufbau der Produktionskapazitäten (Fabriken) und in die
Produktion der Technologien selbst gesteckt werden.
Aufgrund der hohen Abhängigkeit des
Ausbaus der erneuerbaren Kapazitäten von fossilen Energien – die wohl noch
längere Zeit so bleiben wird – und der hohen »extraktiven Kosten« für die
Gewinnung der notwendigen Rohstoffe für die Energiewende-Technologien, stellen
einzelne Autoren und Forscher den Begriff »erneuerbare Energien« grundsätzlich
in Frage beziehungsweise lehnen diesen ab. Wie beispielsweise Alexander Dunlap,
Research Fellow am Institute for Global Sustainability der Boston University,
der sich dafür ausspricht, statt des Begriffs »erneuerbare Energien« den
Begriff »Fossil fuel+«-Technologien zu verwenden[4]:
»Die Dichotomie von guter und schlechter
Energie – schlechte fossile Brennstoffe versus gute erneuerbare Energien – […]
ist irreführend, wenn nicht sogar völlig falsch. Dieses Kapitel argumentiert,
dass es so etwas wie erneuerbare Energien, wie wir den Begriff normalerweise
verwenden, in Wirklichkeit nicht gibt. Die Infrastrukturen für erneuerbare
Energien beruhen selbst auf fossilen Brennstoffen oder sind bestenfalls »Fossil
Fuel+«-Technologien. »Fossil fuel+ technologies« ist der passendere Begriff für
erneuerbare Energien.«
Speicherbedarf und Versorgungssicherheit
Die Kapazitäten der
Stromspeicherung müssten in einem Energiesystem, das zu einhundert Prozent auf
erneuerbaren Energien beruht, in enormen Maß steigen[5].
Das gilt insbesondere für die saisonale Speicherung bzw.
Langzeitstromspeicherung, die notwendig ist, um längere Dunkelflauten zu
überbrücken.
Wenn man den gesamten Speicherbedarf
(für Kurz- und Langzeitspeicherung) betrachtet, ergeben Abschätzungen, dass für
Deutschland eine Erhöhung der Speicherkapazität um etwa den Faktor 1000 (!)
notwendig wäre. Während einige Länder (wie Österreich oder die Schweiz)
aufgrund der Existenz von Pumpspeichern in dieser Hinsicht etwas besser
aufgestellt sind, dürfte für viele andere Länder und Weltregionen ein ähnlicher
Ausbaubedarf der Speicherkapazitäten wie in Deutschland gelten (unter der
Zielsetzung, ein Energiesystem, das zu einhundert Prozent auf erneuerbaren
Energien beruht, aufzubauen).
Die Rückverstromung von Wasserstoff in
wasserstofffähigen Gaskraftwerken gilt zurzeit als die aussichtsreichste
Technologie, um saisonale Energiedefizite in großem Maßstab auszugleichen.
Dafür müssten zuerst riesige Mengen an Wasserstoff durch Elektrolyse erzeugt,
zwischengespeichert und schließlich bei Bedarf rückverstromt werden. Für die
Speicherung derart großer Mengen an Wasserstoff kommen nach jetzigem
Kenntnisstand eigentlich nur große unterirdische Kavernenspeicher, eventuell
auch unterirdische Porenspeicher in Frage.
Ob es gelingen kann, derart hohe
Elektrolyse- und Speicherkapazitäten – insbesondere für die saisonale
Speicherung – in der kurzen Zeit von zwei (bis maximal drei) Jahrzehnten
aufzubauen, ist höchst fraglich. Für die Umrüstung und Neuerrichtung von
wasserstofftauglichen Kavernenspeichern sind lange Zeiträume und hohe
Investitionskosten zu bedenken. Bei Porenspeichern ist noch weiterer
Forschungsbedarf erforderlich, um deren Eignung für die Wasserstoffspeicherung
bewerten zu können.
Um die Menge an Wasserstoff durch
Elektrolyse herzustellen, die nach aktuellen Abschätzungen notwendig wäre, um
die Versorgungssicherheit in Deutschland zu garantieren, müsste mehr als das
Doppelte der derzeit in Österreich insgesamt verbrauchten Strommenge
aufgewendet werden. Und die Rückverstromung ist nur einer der zukünftig
geplanten Einsatzbereiche von Wasserstoff.
Bereits jetzt, wo die Ausbauziele für
die Erneuerbaren (Photovoltaik und Windenergie) noch lange nicht erreicht sind,
wird (neben der Problematik des Umgangs mit Defiziten in der Stromerzeugung)
auch die Thematik des Umgangs mit temporären Stromüberschüssen immer
bedeutender und brisanter. Das hat nicht zuletzt der Sommer 2024 gezeigt, wo
das Schlagwort vom »Solarinfarkt« in medialen Überschriften kursierte. Bei einem
Erreichen der Ausbauziele für 2035 könnten Photovoltaikanlagen in Deutschland
während der Mittagsspitze mehr als dreimal (!) so viel Strom produzieren als zu
diesem Zeitpunkt für den Verbrauch benötigt würde. Das sind riesige
Überschüsse, die erst irgendwie »weggebracht« werden müssen beziehungsweise im
besten Fall möglichst sinnvoll genutzt werden sollten. Voraussichtlich werden
auch sehr hohe Strommengen abgeregelt werden müssen.
Das antizipierte Stromsystem der
Zukunft, das zu einhundert Prozent auf erneuerbaren Energien basieren und noch
eine Reihe von zusätzlichen Aufgaben aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung
übernehmen soll, wird deutlich komplexer. Ob dies in der Praxis alles so
funktionieren wird, wie man das in Modellrechnungen und Computersimulationen
abbilden kann, darf bezweifelt werden. Was zurzeit beobachtbar ist, ist ein
Hineinstolpern in diesen angestrebten Wunschzustand des perfekten
Zusammenspiels der verschiedenen Flexibilitätsoptionen. Aufgrund der steigenden
Komplexität wird das Stromsystem auch verletzlicher und angreifbarer.
Im Zweifelsfall dürfte die
Versorgungssicherheit allerdings einen höheren Stellenwert als der Klimaschutz
und der damit verbundene möglichst rasche Abbau fossiler Kraftwerkskapazitäten
haben. Sollte es trotz dieser Prioritätenreihung
dennoch zu einem Blackout kommen und würde dieser mit der Energiewende
ursächlich in Zusammenhang gebracht werden können, wäre der Imageschaden für
diese selbstredend massiv.
Wasserstoffwirtschaft – Grüner Wasserstoff
»Grüner Wasserstoff« gilt als einer der Hoffnungsträger
der Energiewende[6].
Eine wesentliche Frage ist jene der Skalierbarkeit, also wie groß eine
Wasserstoffwirtschaft werden könnte. Denn selbst wenn Wasserstoff »nur« in
jenen Bereichen angewendet würde, wo dessen Einsatz in weitgehender
Übereinstimmung verschiedener Studien und Strategiepapiere als sinnvoll
erachtet wird – für die saisonale Speicherung, für die Industrie und für andere
Bereiche, die schwer elektrifizierbar sind, wäre die Dimension einer zukünftigen
Wasserstoffwirtschaft gewaltig. Es gibt aber verschiedene wesentliche
Problempunkte einer Wasserstoffwirtschaft, die deren Umsetz- und Skalierbarkeit
deutlich begrenzen dürften:
+
Eine Wasserstoffwirtschaft geht
mit sehr hohen Umwandlungsverlusten einher. Diese entstehen in der gesamten
Wasserstoff-Prozesskette, von Erzeugung über Speicherung, Transport bis
schließlich zur Anwendung.
+
Im Gegensatz zu fossilen
Energieträgern, die bereits in gespeicherter Form vorliegen, muss Wasserstoff
erst aufwändig (zwischen-)gespeichert werden. Auch dieser Schritt geht mit
entsprechenden Kosten und Infrastrukturaufwand einher und verschlechtert die
Energie- und Ökobilanz von Wasserstoff.
+
Wird (grüner) Wasserstoff in
großem Stil erzeugt, verursacht das einen entsprechend hohen Wasserbedarf für
die Wasserelektrolyse. Insbesondere in Regionen, die bereits jetzt von
Trockenheit geplagt sind, erhöht dies den Wasserstress.
+
In einer umfassenden
Lebenszyklus-Betrachtung hat Wasserstoff eine fragwürdige bis schlechte Öko-
bzw. Klimabilanz. Das gilt selbst für den Hoffnungsträger grünen Wasserstoff,
für die anderen Wasserstofferzeugungsarten (blauer Wasserstoff, türkiser
Wasserstoff etc.) umso mehr. Bei genauerem Hinsehen ist also der grüne
Wasserstoff gar nicht so grün.
+
Insbesondere für die
Dekarbonisierung der Industrie (aber auch für die saisonale Stromspeicherung,
siehe oben) ergäbe sich ein riesiger Wasserstoffbedarf, wenn die Industrie ihr
derzeitiges Produktionsvolumen beibehielte. Die schiere Größe einer eventuellen,
zukünftigen Wasserstoffwirtschaft und der dafür benötigte Ausbaubedarf an
erneuerbarer Stromerzeugungskapazität sind durchaus schwindelerregend.
+
Auch die Rohstoffverfügbarkeit
dürfte in einer hochskalierten Wasserstoffwirtschaft kritisch werden.
Beispielsweise ergäbe sich eine sehr hohe Nachfrage nach Platingruppen-Metallen
bei einer entsprechenden Hochskalierung von PEM-Elektrolyseuren.
+
Weitere kritische Aspekte einer
Wasserstoffwirtschaft betreffen die Sicherheitsthematik beim Umgang mit
Wasserstoff, raschere Materialermüdung durch die Einwirkung von Wasserstoff,
eine eventuelle Anreichung von Wasserdampf in der Atmosphäre und die damit
verbundene Klimawirksamkeit, oder ein möglicher unwirtschaftlicher Betrieb von
Elektrolyseuren, die bevorzugt mit Überschussstrom betrieben werden sollen.
Energieimporte
Großzügig bemessene
Energieimporte spielen eine gewichtige Rolle in vielen Energiewendeszenarien
und -strategien (bezogen auf Deutschland, sowie auch auf Europa generell)[7].
Die Idee, Strom über Hochspannungs-Gleichstromleitungen transkontinental zu
transportieren (Desertec-Konzept), wurde zwar deutlich zurückgestuft, der
großräumige Transport von Wasserstoff und dessen Derivaten über Pipelines oder
Schiffe steht aber nach wie vor als Zukunftsperspektive hoch im Kurs.
In den möglichen Exportländern liegt
allerdings für den – bei weitem – größten Teil der geplanten
Wasserstoffprojekte noch keine Investitionsentscheidung vor. Die meisten der
angedachten Exportländer, insbesondere Länder aus der MENA-Region, haben noch
sehr geringe Anteile an erneuerbarer Erzeugung in ihrem Elektrizitätsmix. Für
solche Länder ist daher die Forderung naheliegend, dass sie zuerst ihre eigene
Energieversorgung auf erneuerbare Energien umstellen sollten, bevor sie große
Photovoltaikplantagen und Windenergiefarmen errichten, die Wasserstoff oder
Derivate von Wasserstoff für den Export produzieren.
Die meisten der anvisierten
Exportländer sind auch von hohem bis sehr hohem Wasserstress betroffen. Neben
einer Erhöhung des Wasserstresses (durch die Produktion von Wasserstoff) kann
es zu weiteren negativen Folgen für die lokalen Ökosysteme in den Exportländern
kommen. Aufgrund des großen Flächenbedarfs für die Erzeugung von grünem
Wasserstoff in großem Stil sind Landnutzungskonflikte möglich und
wahrscheinlich.
Sollen aus Wasserstoff E-Fuels
produziert werden, muss auch eine ausreichende Quelle für Kohlendioxid erschlossen
werden. Biomasse ist in den meisten der potenziellen Exportländer selten,
Anlagen mit »Direct Air Capture« sind bisher kaum vorgesehen. Zusammen mit den
sehr hohen Kosten aufgrund großer Umwandlungsverluste und einer generell
aufwändigen Herstellung sind E-Fuels sehr kritisch in Frage zu stellen.
Für Wasserstoff existiert zurzeit noch
keine Transportinfrastruktur in größerem Maßstab. Das gilt für den regionalen
und erst recht für den internationalen bzw. transkontinentalen Transport. Die
beiden grundsätzlich möglichen Transportoptionen sind Pipelines oder
Schiffstransporte, wobei bei letzterer Option der Wasserstoff verflüssigt oder
in Ammoniak umgewandelt werden müsste, was wiederum mit entsprechendem
Energieaufwand und Kosten einhergeht. Hohe Transportkosten für Wasserstoff
können den Vorteil geringerer Produktionskosten in den potenziellen
Exportländern wieder aufwiegen oder sogar ins Gegenteil verkehren. Die zurzeit
verfügbaren Schiffskapazitäten für den Transport von flüssigem Wasserstoff sind
noch sehr gering.
Es sei also vor zu optimistischen
Erwartungen gewarnt, was zukünftige Importvolumina von Wasserstoff (und dessen
Derivaten) nach Europa betrifft. Das gilt ganz sicher für die unmittelbare
Zukunft (bis 2030/35), aber die grundsätzlichen Fragezeichen einer
erfolgreichen Umsetzung gelten auch für die folgenden Jahrzehnte.
Rolle der Kernenergie
Die Bedeutung der Kernenergie ist
in einer globalen Sicht seit Jahrzehnten rückläufig[8].
Der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung, bezogen auf die gesamte Welt,
erreichte 1996 ein Maximum mit 17,5 Prozent, ist seitdem stetig im Sinken
begriffen und lag 2023 gerade noch bei 9,2 Prozent. Seit einem
Vierteljahrhundert stagniert die gesamte Stromerzeugung aus allen weltweit
betriebenen Kernreaktoren bei etwa 2.500 bis 2.600 Terawattstunden (TWh), mit
leichten Auf- und Abbewegungen.
Grob lassen sich hinsichtlich der
Bautätigkeit von Kernreaktoren drei Phasen unterscheiden: Aufstieg (von 1951
bis 1979), Abstieg (von 1980 bis 2004), Konsolidierung und Stagnation (von 2005
bis 2024). Ab 2005 setzte, nach mehr als 20 Jahren eines Rückgangs der
Bautätigkeit, wieder ein leichter Aufwärtstrend ein, getragen allerdings fast
ausschließlich durch die Entwicklung in China.
Die wenigen Kernkraft-Projekte, die in
den ursprünglichen »Kernländern« der Kernenergienutzung (USA, Frankreich, Großbritannien,
Finnland) in den letzten Jahrzehnten tatsächlich in Angriff genommen wurden,
waren (und sind) von massiven Bauzeit- und Kostenüberschreitungen
gekennzeichnet, was das Image der Kernenergie als teure und schwer skalierbare
Technologie verfestigte. Allerdings sticht auch in dieser Hinsicht wieder China
mit einer gegenläufigen Entwicklung geringerer Bauzeiten heraus.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen
und der Trends der letzten Jahrzehnte scheint eine echte Trendwende, eine »Renaissance«
der Kernenergie nicht in Sicht. Das eher bescheidene Ziel, zunächst einmal den
Abwärtstrend der Kernenergie (im Sinne eines sinkenden Anteils an der
weltweiten Stromerzeugung) zu stoppen, dürfte bereits eine nicht zu
unterschätzende Herausforderung werden. Auch neuartige Reaktorkonzepte, wie
insbesondere die »Small Modular Reactors«, in die einige große Hoffnungen
setzen, dürften aller Voraussicht nach nicht die großen Game Changer werden,
ihr Beitrag zur Stromerzeugung und einer eventuellen Reduktion von CO2-Emissionen
dürfte bescheiden bleiben.
Selbst wenn man die vielfältigen
schwierigen Themen rund um die Kernenergie (Endlagerung, aufwändiger Rückbau,
fragwürdige Wirtschaftlichkeit, Proliferations- und Störfallrisiken, in einer
weiteren Perspektive auch die Verfügbarkeit von günstigem Uran) einmal
ausblendet – alleine der Blick auf die Skalierbarkeit reicht aus,
um deren zukünftige Bedeutung zu relativieren. Die Kernenergie wird zwar nicht
verschwinden, in einigen Ländern wird sie auch hinkünftig einen relevanten
Beitrag zur Stromerzeugung leisten, zu große Erwartungen hinsichtlich ihrer
zukünftigen Bedeutung sollte man aber auch nicht hegen.
Die Nettoenergiebilanz der Erneuerbaren
In der Nettoenergieanalyse ist
der sogenannte EROEI (Energy Return on Energy Invested) eine Schlüsselgröße[9].
Obwohl die Relevanz der Nettoenergieperspektive unmittelbar einleuchtet, wird
sie in den wesentlichen Modellen und Studien, die zur Politikberatung verwendet
werden, zumeist vernachlässigt.
In der wissenschaftlichen Fachliteratur
ist der EROEI Gegenstand einer fallweise durchaus heftig geführten Kontroverse.
Der Wahl der
Systemgrenzen kommt bei der Interpretation der
Ergebnisse eine besondere Bedeutung zu. Während die meisten Studien enge
Systemgrenzen wählen und somit »nur« den sogenannten Standard EROEI berechnen,
ist der Extended EROEI mit weiteren Systemgrenzen der relevantere Indikator,
wenn es darum geht, den Anteil der Nettoenergie, der einer Gesellschaft für
alle Arten von nutzbringenden Anwendungen außerhalb des Energiesektors
übrigbleibt, zu bestimmen.
Der Extended EROEI für Photovoltaik und
Windenergie, den beiden »Hoffnungsträger-Technologien« der Energiewende, dürfte vermutlich
relativ gering sein (zwischen 1 und 3). Hinzu kommt, dass sich während der
Phase eines beschleunigten Ausbaus der erneuerbaren Energien die statischen
Werte für den EROEI noch weiter verringern, sodass sich über eine längere Phase
ein kumuliertes Nettoenergie-Defizit aufbauen kann – die sogenannte »Energiefalle«.
Über einen relativ langen Zeitraum muss so mehr Energie investiert werden, als
bezogen werden kann.
Der Antwort auf die Frage, wie hoch der
minimale EROEI für das Funktionieren einer komplexen Gesellschaft und das
Aufrechterhalten zivilisatorischer Standards sein sollte, wohnt eine
zugegebenermaßen spekulative Komponente inne. Es deutet allerdings vieles
darauf hin, dass es in dieser Hinsicht eng werden könnte, wenn das
Energiesystem weitgehend auf erneuerbare Energien umgestellt wird. Insbesondere
das Narrativ des »Grünen Wachstums« (»Green Growth«), das implizit oder
explizit den meisten Energiewende-Szenarien zugrundeliegt, wird auch durch Nettoenergie-Betrachtungen
schwer in Frage gestellt.
Der »Hunger« nach Metallen für die Energiewende
Der Energiesektor, dessen Bedarf
nach Metallen bislang eher gering war, wird durch den geplanten raschen Ausbau
der Energiewende-Technologien zu einem der großen Treiber für die Nachfrage
nach einigen Schlüsselmetallen[10]. Gemäß
einem umfangreichen Bericht der Internationalen Energieagentur steigt in einem
Szenario, das die Ziele des Pariser Klimaabkommens (von 2015) erfüllt, der
Anteil der Energiewende-Technologien an der Gesamtnachfrage nach verschiedenen
Metallen in den nächsten zwei Jahrzehnten deutlich: auf über 40 % für Kupfer
und Seltene Erden, auf 60 bis 70 % für Nickel und Kobalt und auf fast 90 % für
Lithium. Im Vergleich zur 2020 benötigten Menge für die
Energiewende-Technologien steigt gemäß diesem Szenario die Nachfrage nach
Lithium um den Faktor 42, für Kobalt um den Faktor 21, für Nickel um den Faktor
19 und für Seltene Erden um den Faktor 7.
Die zurzeit existierenden und geplanten
Bergbaukapazitäten reichen bei weitem nicht aus, um diesen rasch wachsenden
Bedarf befriedigen zu können. Bereits in naher Zukunft könnte sich eine
erhebliche Schere zwischen dem Bedarf, der durch die Erreichung bestimmter
Ausbauziele gegeben ist, und dem tatsächlichen Angebot an verschiedenen
wichtigen Metallen für die Energiewende (zum Beispiel Kupfer, Lithium oder
Kobalt) ergeben. Eine Erhöhung der Bergbaukapazitäten stößt an Grenzen, wofür
es mehrere schwerwiegende Gründe gibt: lange Projektentwicklungszeiten, sich verringernde
Qualität der Erze, höhere Umwelt- und Sozialstandards für den Bergbau und
Erschwernisse, die sich aufgrund der fortschreitenden Klimaerwärmung ergeben
(hoher Wasserstress bzw. -mangel).
Der Großteil der wichtigsten
mineralischen Rohstoffe für die Energiewende stammt aus wenigen Ländern und
Weltregionen. Insbesondere hinsichtlich der Verarbeitung der
wichtigsten mineralischen Rohstoffe (bzw. Metalle) für die Energiewende hat
sich China in den letzten Jahrzehnten einen Status als Beinahe-Monopolist
erarbeitet, was China auch entsprechende politische Druckmittel in die Hand
gibt.
Die Summe der Umweltbelastungen und
sozialen Verwerfungen, die aufgrund des Bergbaus resultieren, ist enorm. Aber nicht
nur der Rohstoffabbau für Energiewende-Technologien, auch die Gewinnung der
fossilen Energierohstoffe (inkl. Uranbergbau) gehen in vielen Entwicklungs- und
Schwellenländern mit massiven Umweltproblemen, schwerwiegenden
Menschenrechtsverletzungen und sozialen Konflikten einher.
Höhere Umwelt- und Sozialstandards führen
zu höheren Kosten des Bergbaus und wären nur mit verbindlichen internationalen
Regulierungen und Überprüfungen flächendeckend umsetzbar. Zudem gibt es
inhärente Grenzen einer Verbesserung der Umwelt- und Energiebilanz des Bergbaus
aufgrund des sich stetig verringernden Erzgehalts der Gesteine. Spürbare
Verknappungen bei verschiedenen Schlüsselmetallen werden den Preisdruck auf
verschiedene Energiewende-Technologien erhöhen. Ob eine deutliche Dematerialisierung
der Energiewende-Technologien als auch eine ausreichende Ausweitung der Förderung
kritischer Rohstoffe möglich sind, um bestimmte politisch definierte Ausbauziele
zu erreichen, bleibt höchst fraglich.
Fortsetzung folgt – Was an »unbequemen Wahrheiten« noch dazukommt
Über diese unbequemen Wahrheiten hinaus
gibt es weitere kritische Problembereiche, die – wie auch bereits in der
Einleitung erwähnt – durchaus ebenso Beachtung verdient hätten:
+
Die umstrittene und
begrenzte Rolle der Biomasse: Die energetische
Nutzung biogener Rohstoffe (oft als »Biomasse« bezeichnet) wird zurzeit
deutlich kritischer gesehen als noch vor etwa 20 Jahren, als ein Biotreibstoffhype
durch die europäischen Lande schwappte, welcher allerdings bereits damals eine
intensive Diskussion auslöste[11].
Biotreibstoffe wurden mittlerweile als »Agrotreibstoffe« terminologisch und in
ihrer Bedeutung zurückgestuft.
Aber auch die energetische
Nutzung von Holz ist mittlerweile durchaus heftig umstritten. Beispielsweise
wurde am 11. Februar 2021 ein von über 500 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern unterzeichneter Appell an die Präsidenten der USA, der EU,
Japans und Südkoreas gerichtet, in welchem eindringlich die energetische
Nutzung von Holz kritisiert wurde und die angesprochenen Regierungen dazu
aufgefordert wurden, Förderungen für die energetische Nutzung von Holz
einzustellen[12].
Auch der WWF und andere Umweltverbände schlagen in eine ähnliche Kerbe. Ein
Kernargument gegen die energetische Nutzung von Holz ist, dass der
Kohlenstoffspeicher Wald möglichst als Kohlenstoffsenke erhalten bleiben soll[13].
Als ein Resultat dieser Diskussion hat das deutsche Umweltbundesamt die bisher
gering bewerteten CO2-Emissionen durch die Verbrennung von Holz
deutlich angepasst, indem es die direkten CO2-Emissionen aus der
Holzverbrennung in die Bewertung inkludiert hat[14].
Die energetische Nutzung von Biomasse wird in der Regel nur mehr dann als unproblematisch
gesehen, wenn es sich um die Nutzung von Reststoffen handelt.
+
Naturschutz versus
Klimaschutz: Mehr Windräder, mehr
Freiflächen-Photovoltaikanlagen, mehr Pumpspeicherkraftwerke – all das sind
auch Eingriffe in »die Natur«, beziehungsweise häufig in eine mehr oder weniger
natürliche Kulturlandschaft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der
deutlich sichtbare Umbau der Kulturlandschaften sowie die Beeinträchtigung
weitgehend naturbelassener Lebensräume im Zuge der Energiewende auch Naturschützerinnen
und Naturschützer mit der Forderung auf den Plan gerufen hat, dass die
Energiewende naturverträglich sein müsse. Doch dieser Naturverträglichkeit sind
Grenzen gesetzt.
Es gibt zahlreiche
Überschneidungen von bereits vorhandenen und zukünftig geplanten Anlagen für
die Nutzung erneuerbarer Energien (Wind- und Solarparks, Wasserkraftwerke) mit
wichtigen Naturschutzgebieten, die potenziell die Ziele der Erhaltung der
biologischen Vielfalt gefährden. Dies hat eine umfangreiche wissenschaftliche
Arbeit aus 2020 gezeigt, welche die weltweite Situation in dieser Hinsicht
analysiert hat[15].
Eine strategische Planung, die Grenzen für die Entwicklung von erneuerbaren
Energieanlagen innerhalb wichtiger Schutzgebiete setzt, ist daher eine
Kernforderung dieser Analyse.
+
Die gesellschaftliche
Akzeptanz: Der teilweise erbittert geführte
Widerstand von Bürgerinitiativen gegen den Bau von Windenergieanlagen weist
deutlich auf ein weiteres Konfliktfeld hin. Hier gibt es Querbezüge zur
Naturschutzthematik, auch wenn diese beim Bürgerprotest nicht unbedingt im
Vordergrund stehen muss. Auch wenn es nur eine »laute Minderheit« sein sollte,
die hier – insbesondere gegen Windenergieanlagen – ins Feld zieht, so ist diese
doch durchaus wirkmächtig.
+
Langzeitperspektive, Rezyklierbarkeit
und Kreislaufwirtschaft: Selbst wenn der Aufbau
einer riesigen, auf erneuerbaren Energien beruhenden neuen Infrastruktur in
relativ kurzer Zeit gelänge – diese muss schließlich (wie alles andere auch)
laufend erneuert werden. Und diese laufende Erneuerung braucht wiederum
Ressourcen. Hier ist die Frage – und diese Frage stellt sich letztlich für alle
wirtschaftlichen Aktivitäten – inwieweit Rohstoffe, die für diese laufende
Erneuerung und Wartung benötigt werden, rezyklierbar sind, also im Sinne einer
Kreislaufwirtschaft im Kreis geführt werden können. Die bisherige Umsetzung der
Energiewende ist noch stark »extraktivistisch« geprägt, beruht also in
erheblichem Ausmaß auf nicht rezyklierten, neu gewonnenen Rohstoffen[16].
Recycling steckt im Zusammenhang mit den Schlüsseltechnologien der Energiewende
in vieler Hinsicht noch in den Kinderschuhen. Beispielsweise werden ausgediente
Photovoltaikmodule häufig einfach weggeworfen beziehungsweise deren wertvolle
Inhaltsstoffe nur teilweise rezykliert[17].
+
Kosten, Finanzierbarkeit und
Wirtschaftlichkeit: Die Schlüsseltechnologien
Photovoltaik und Windenergie sollen bereits die billigsten Möglichkeiten zur
Stromerzeugung geworden sein – diese Aussage steht im Raum. Wenn dem so ist,
warum setzen sich diese Technologien dann nicht quasi »von alleine« durch (und
sind häufig nach wie vor von der jeweiligen Förderpolitik abhängig, wenn auch
in abnehmendem Ausmaß) und warum sind gerade in jenen Ländern mit dem höchsten
Ausbaugrad an erneuerbaren Stromerzeugungstechnologien, wie Deutschland oder
Dänemark, die Strompreise am höchsten?
Bei einer ehrlichen
Kostenbilanzierung müssten auch die Kosten für die Backup-Systeme (sei es jetzt
ein Backup aus fossil betriebenen oder – wie zukünftig angestrebt – wasserstofffähigen
Kraftwerken oder auf der Basis von Batterie- und anderen Speichern) und der
erforderliche Netzausbau miteinbezogen werden. Eine schlechte
Wirtschaftlichkeit – welcher technologischen Option auch immer – kann auch ein
Hinweis auf deren schlechte energetische Bilanz sein, was bedeutet, dass diese also
vergleichsweise wenig Nettoenergie liefert.
+
Der Faktor Zeit und andere
knappe Ressourcen: Ist ein »Durchpeitschen« der
Energiewende (etwa im Sinne einer »Energierevolution« à la Volker und Cornelia
Quaschning[18]
oder auch gängiger politischer Zielvorstellungen) in der relativ kurzen Zeit
von wenigen (etwa zwei weiteren) Jahrzehnten überhaupt möglich – selbst bei
einem hohen Ausmaß an politischem Willen und gesellschaftlicher Akzeptanz? Je
schneller etwas umgesetzt werden soll, desto mehr sind Verknappungen in
verschiedener Hinsicht zu erwarten[19],
die sich auch jetzt bereits zeigen: Etwa Verknappungen bei gut ausgebildeten
Fachkräften, die eine enorme Zahl an neuen Anlagen planen, errichten, in
Betrieb nehmen und warten sollen. Wenn ein Nachfrage-Hype einsetzt, mit dem das
Angebot nicht mithalten kann, führt das auch zu erheblichen Preissteigerungen
und langen Wartezeiten, wie das auch in der Inflationskrise von 2022/2023
beobachtet werden konnte. Preissteigerungen, lange Wartezeiten in der
Produktion und ein Mangel an Fachkräften wirken naheliegenderweise bremsend.
+
Carbon Leakage und das »Grüne
Paradoxon«: Was bringt eine Energiewende, wenn sie
nur einseitig in einigen Ländern beziehungsweise einem Teil der Welt betrieben
wird? Letztlich zählen ja die globalen Emissionen, die deutlich und schnell
reduziert werden müssten. Wenn es in einzelnen Weltregionen tatsächlich
gelingen sollte, den Verbrauch fossiler Energieträger infolge einer ökologisch
orientierten Politik nennenswert zu reduzieren, könnte es dennoch sein, dass
diese Reduktion durch einen Mehrverbrauch in anderen Weltregionen
(über-)kompensiert wird. Hans-Werner Sinn nennt diesen Effekt das »Grüne
Paradoxon«, es kann auch als eine Form des weiter gefassten »Carbon Leakage« aufgefasst
werden[20].
+
Energiewende, Kapitalismus
und Deindustrialisierung: Es gibt starke Indizien
dafür, dass eine hoch industrialisierte, hoch mobile, arbeitsteilige und
vernetzte Gesellschaft mit einem Energiesystem, das vorwiegend oder zur Gänze
auf erneuerbaren Energiequellen beruht, nicht (oder nur unzureichend)
kompatibel ist. Wenn dem so ist, ist nicht nur mittel- und langfristig die
Perspektive weiteren wirtschaftlichen Wachstums in Frage gestellt, zumindest
die entwickelten Industriegesellschaften müssten im Grunde wirtschaftlich »schrumpfen«[21].
Dies rüttelt an den Grundfesten unseres Wirtschaftssystems, das – wenn man ihm
eher gewogen ist – als liberale Marktwirtschaft, von Kritikerinnen und
Kritikern aber gerne auch als Kapitalismus bezeichnet wird. Ulrike Herrmann hat
diese Thematik in ihrem Buch »Das Ende des Kapitalismus« aufgegriffen[22],
sie ist aber bei weitem nicht die erste, die in eine derartige Richtung
argumentiert[23].
Eine »echte Energiewende« ist somit – konsequent weitergedacht – auch ein
Deindustrialisierungsprogramm. Nicht nur für Deutschland und Europa, sondern im
Grunde für (fast) die ganze Welt. Eine weitere unbequeme Wahrheit, die vielen nicht
schmecken wird[24].
In Summe gibt es also viele –
allzu viele – unbequeme Wahrheiten und bedeutsame Dilemmata, die es höchst
fragwürdig erscheinen lassen, dass sich eine Energiewende in der erhofften,
erwünschten oder geplanten Form tatsächlich umsetzen lassen könnte,
insbesondere dann, wenn sie nicht nur regional begrenzt ist, sondern eine
globale Dimension erreichen soll[25]
(und auch, wenn man die Geschwindigkeit bedenkt, mit der sie vonstatten gehen
soll). Das sollte aus dem bisher Geschriebenen klar geworden sein.
An dieser Stelle ist mir aber auch
wichtig festzuhalten, dass das genaue Herausarbeiten der Schwachstellen und
Dilemmata der Energiewende kein willkommener Anlass für Häme und Polemik sein
soll (indem etwa einzelnen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern,
Parteien oder Interessensgruppen die Schuld an der Misere zugeschoben wird, uns
auf das »Energiewende-Narrenschiff« verfrachtet zu haben[26]).
Wer eine wirklich bessere Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit hat, möge
vortreten.
Denn die von verschiedenen
Kritikerinnen und Kritikern am gängigen Kurs der Energiewende klar bevorzugte
Alternative der Kernenergie weist auch deutliche Beschränkungen auf (wie im
Kapitel »Die Kontroversen um die Kernenergie« umfassend dargestellt wurde). Die
Kritik am vorzeitigen Abschalten noch gut funktionsfähiger Kernkraftwerke, wie
das in Deutschland mit dem Kernenergieausstieg umgesetzt wurde, mag zwar
durchaus ihre Berechtigung haben. Eine echte großmaßstäbliche Alternative wäre
die Kernenergie aber nur dann, wenn nicht nur die Laufzeiten bestehender
Kraftwerke verlängert würden, sondern auch ein massives Neubauprogramm für
Kernreaktoren verfolgt würde. Ein solches Programm ist nicht einmal in den
großen Kernenergie-Ländern, die sich weiterhin klar zur Nutzung der Kernenergie
bekennen (wie den USA oder Frankreich) in Sicht. In Deutschland wäre ein
derartiges Programm – selbst wenn die Laufzeitverlängerungen gelungen wären und
bestehende Kernkraftwerke noch 10 oder 20 Jahre hätten weiterlaufen können –
vermutlich von massivem Widerstand begleitet und somit höchst unwahrscheinlich
in der Umsetzung.
Bei aller Kritik an der Energiewende
sei also auch zur Bescheidenheit gemahnt. Denn die großen »Game Changer« außerhalb
des Spektrums an Optionen, das normalerweise von Energiewende-Szenarien
beschrieben wird, sind nicht in Sicht (siehe dazu auch das abschließende Kapitel
»Einige Gedanken zum Abschluss«). Auch müssen wir über den Tellerrand einer –
insbesondere in Deutschland – hitzig geführten Debatte blicken, die suggeriert,
dass sich Deutschland in seiner Vorreiterrolle im Zusammenhang mit der
Energiewende besonders ungeschickt anstelle und von allen anderen Ländern
übervorteilt und abgehängt würde. Es geht aber um viel mehr als die
Entwicklungen in Deutschland. Letztlich wirken die Dilemmata im Zusammenhang
mit der Energiewende im globalen Maßstab, sie betreffen die gesamte Menschheit.
Und es gibt zwar einige Ansatzpunkte für mögliche Antworten auf die
Herausforderungen der Klimakrise beziehungsweise der allgemeineren ökologischen
Krise, die aber auch vielen nicht besonders schmecken werden[27].
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/An_Inconvenient_Truth#Synopsis
(abgerufen am 4.5.2025)
[2] Da die in diesem Abschnitt zusammengefassten Eckpunkte und
wesentlichen Erkenntnisse bereits in den vorigen Teilen (hauptsächlich in Teil
3, fallweise auch in Teil 1 und Teil 2) ausführlicher besprochen wurden, sind
hier in der Regel keine Verweise auf Quellen angeführt – diese befinden sich in
den jeweiligen Kapiteln.
[3] Der relative Anteil der Erneuerbaren (insbesondere an der
Stromerzeugung) ist zwar in der Vergangenheit gestiegen, dieser relative
Anstieg konnte aber nicht verhindern, dass gleichzeitig der absolute
Einsatz von fossilen Energieträgern trotzdem auch gestiegen ist, siehe dazu
auch das Kapitel »Energiewende – wo stehen wir jetzt? – Eine globale
Perspektive« am Ende von Teil 1.
[4] Dunlap (2021), S. 84; eigene Übersetzung
[5] Für Details, inklusive entsprechende Quellenverweise, siehe Kapitel
»Keine Angst vor Dunkelflauten und Blackout? – Der enorme Speicherbedarf für
die Energiewende« im Teil 3.
[6] Für Details siehe Kap. »Grüner Wasserstoff – der lang erwartete
Problemlöser?«, Teil 3.
[7] Für Details siehe Kapitel »Der Traum vom ›Wüstenstrom‹ – Wie
realistisch sind großräumige Energieimporte?«,Teil 3.
[8] Für Details siehe Kapitel »Die Kontroversen um die Kernenergie –
Welche Rolle könnte sie in Zukunft spielen?«, Teil 3.
[9] Für Details siehe Kapitel »Wie viel Energie bleibt unterm Strich
übrig – Die Nettoenergieperspektive«, Teil 3.
[10] Für Details siehe Kapitel »Materialschlachten– Reichen die
Rohstoffe für die Energiewende?«, Teil 3.
[11] 2003 trat die als »EU-Biokraftstoffrichtlinie« bekannte Richtlinie
2003/30/EG in Kraft. Diese Richtlinie wurde 2009 durch die
Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RL 2009/28/EG) aufgehoben. Seit 2009 wird
bezüglich der Regelungen zu Biotreibstoffen auf EU-Ebene versucht, auf »Nachhaltigkeitsaspekte«
mehr Wert zu legen.
[12] »Letter Regarding Use of Forests for Bioenergy«,
https://plattform-wald-klima.de/wp-content/uploads/2021/02/Scientist-Letter-to-Biden-von-der-Leyen-Michel-Suga-Moon-Re.-Forest-Biomass-February-11-2021.pdf
(abgerufen am 11.5.2025)
[13] »Wie Holzverbrennung den Klimawandel befeuert«,
https://www.wwf.de/themen-projekte/waelder/wald-und-klima/wie-holzverbrennung-den-klimawandel-befeuert
(abgerufen am 11.5.2025)
[14] https://www.umweltbundesamt.de/themen/berechnung-der-co2-emissionen-aus-dem-heizen-holz
(abgerufen am 11.5.2025)
[15] Rehbein et al. (2020)
[16] Siehe dazu auch das Kapitel »Materialschlachten – Reichen die
Rohstoffe für die Energiewende« (Teil 3).
[17] »Recycling wanted! Riesige Berge an Photovoltaik-Altmodulen«, https://www.recovery-worldwide.com/de/artikel/riesige-berge-an-photovoltaik-altmodulen-3994899.html
(abgerufen am 11.5.2025)
[18] Quaschning/Quaschning (2022)
[19] Verknappungen im Bereich wichtiger Rohstoffe wurden bereits oben
diskutiert.
[20] Sinn (2008a), Sinn (2008b), Schriefl (2021), S. 243–255
[21] Im Grunde gilt die Perspektive einer notwendigen wirtschaftlichen
Schrumpfung mindestens auch für die aufstrebenden Schwellenländer, zumindest
stellt sie deren weitere Wachstumsperspektive stark in Frage.
[22] Herrmann (2022)
[23] Siehe z.B. Kern (2019), Kern (2024), Sarkar (2001), Sarkar (2024),
Trainer (2007), Heinberg (2011).
[24] Siehe dazu auch die Ausführungen im folgenden Kapitel »Geordneter
Rückzug oder Kollaps«.
[25] Für eine ausführliche Beschreibung der gängigen Vorstellungen einer
Energiewende siehe Teil 2 (»Die Perspektiven und Wunschbilder der Energiewende«).
Neben den »Big 5«-Studien, die Deutschland im Fokus haben, gibt es auch eine
ganze Reihe an Studien und Szenarien mit einer globalen Perspektive, die also
ein ähnliches Programm für die ganze Welt ausrollen, siehe dazu für eine
Übersicht Breyer et al. (2022).
[26] Siehe z.B. »Manfred Haferburg: Mit dem Energiewende-Narrenschiff
mit voller Fahrt aufs Riff«, https://www.youtube.com/watch?v=QoOVwPN_P5A
(abgerufen am 11.5.2025)
[27] Siehe dazu auch das folgende Kapitel »Geordneter Rückzug oder
Kollaps«.
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