Ernst Schriefl
Dieser Beitrag ist der erste Teil des Kapitels "Wie viel Energie bleibt unterm Strich übrig - Die Nettoenergieperspektive" aus meinem Buch "Raus aus Kohle, Öl und Gas - aber wie? Die Dilemmata der Energiewende". In diesem Text werden zunächst die Basisbegriffe EROEI (Energy Return on Energy Invested) und EPBT (Energy Payback Time) erläutert, anschließend die Bedeutung der Wahl der Systemgrenzen für die Berechnung des EROEI und die Frage, wie hoch der minimale EROEI für das Aufrechterhalten einer komplexen Gesellschaft sein könnte, diskutiert.
Das Buch ist im Dezember 2025 im Büchner Verlag erschienen.
Hier der Link zur Vorstellung des Buchs auf der Homepage des Büchner Verlags:
https://www.buechner-verlag.de/buch/raus-aus-kohle-oel-und-gas-aber-wie
Eine umfassende Antwort
Im März 2017 erschien in der
renommierten Fachzeitschrift »Energy Policy« ein Artikel[1],
welcher eine entschiedene Antwort auf einen anderen Artikel, der acht Monate
zuvor in der gleichen Fachzeitschrift erschienen war, darstellte. Der
ursprüngliche Artikel von Ferruccio Ferroni und Robert J. Hopkirk[2],
auf den sich die Antwort aus dem März 2017 bezog, kam zu einer gewagten
Schlussfolgerung: Der Betrieb von Photovoltaikanlagen in Mitteleuropa sei eine
»energetische Senke«, habe also eine negative Energiebilanz.
Wenn man die gesamte Energie, die in
die industrielle Fertigung und Errichtung einer Photovoltaikanlage
hineingesteckt wird, inklusive des Aufwands für Netzintegration und
Speicherung, berechnet und diese Energiemenge dem gesamten Ertrag über die
Lebenszeit dieser Photovoltaikanlage gegenüberstellt, dann ergäbe sich ein
Minus in der Energiebilanz. Die gesamte in die Photovoltaikanlage (inklusive
der notwendigen Zusatzmaßnahmen) hineingesteckte Energie wäre also höher als
der gesamte Energieertrag aus der Anlage, zumindest auf die Verhältnisse in
Mitteleuropa bezogen. Dieses Ergebnis wirkt auf den ersten Blick sicher
überraschend und kontraintuitiv.
Würden die Resultate der Analyse von
Ferroni und Hopkirk tatsächlich stimmen, dann wäre die Installation von
Photovoltaikanlagen in mittleren Breiten ein »Schildbürgerstreich« in
energetischer Hinsicht. Eine Photovoltaikanlage in Mitteleuropa könne dann
vielleicht einer Beruhigung des schlechten Gewissens dienen und suggerieren,
dass man tolle Fortschritte in Richtung einer nachhaltigeren Energiezukunft
mache, aber unterm Strich würde sie letztlich den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen
(in einer globalen Sicht) ankurbeln. Die enorme Tragweite dieser Aussage, wäre
sie tatsächlich richtig, ist somit nicht zu unterschätzen. Es ist daher nicht
verwunderlich, dass es nicht besonders lange dauerte, bis eine entschiedene
Replik auf den Artikel von Ferroni und Hopkirk erschien, eben die bereits oben
erwähnte umfassende Antwort (»A comprehensive response«).
In dieser umfassenden Antwort werden
Ferroni und Hopkirk schwerwiegende methodische Fehler und Ungereimtheiten
vorgeworfen. Sie verwendeten veraltete Informationen und machten ungültige
Annahmen zu PV-Spezifikationen und anderen Schlüsselparametern. Auch
Berechnungsfehler, einschließlich Doppelzählungen, seien in der Analyse von
Ferroni und Hopkirk enthalten. Ein Streitpunkt ist auch die Wahl der adäquaten
Systemgrenzen. Während Ferroni und Hopkirk von erweiterten Systemgrenzen
ausgingen, wurde dieser Ansatz in der Antwort von Raugei et al. kritisch
hinterfragt, wiewohl Raugei et al. dann doch in einer zusätzlichen Rechnung
diese erweiterten Systemgrenzen berücksichtigten, auch wenn sie damit trotzdem
zu deutlich günstigeren Ergebnissen als Ferroni und Hopkirk kamen (zur Frage
der Wahl der Systemgrenzen folgt unten noch mehr).
Ferroni und Hopkirk ließen diese
scharfe Kritik an ihren methodischen Ansätzen und Berechnungen übrigens nicht
auf sich beruhen. Einige Monate später erschien, ebenfalls wieder in »Energy
Policy« unter Heranziehung eines weiteren Ko-Autors, eine ähnlich umfassende
Antwort auf die Antwort, in der versucht wurde, die Gegenargumente von Raugei
et al. wieder zu entkräften. Ferroni und Hopkirk beharrten auf der Richtigkeit
ihres ursprünglichen Ergebnisses[3].
An dieser Stelle soll nicht weiter
erörtert werden, welche Seite denn nun recht habe (weiter unten werden
allerdings einige Arbeiten zur Energiebilanz von Photovoltaik und Windenergie
noch diskutiert). Wie das in wissenschaftlichen Debatten häufig der Fall ist,
lässt sich nicht so einfach und so klar entscheiden, wer denn nun wirklich recht
hat oder ob die Wahrheit vielleicht irgendwo zwischen verschiedenen (Extrem)-Positionen
liegt. Ferroni und Hopkirk haben mit der Frage der Energiebilanz von
Photovoltaik allerdings ein durchaus gewichtiges Thema in ihrem Debattenbeitrag
aufgegriffen. Ein Thema, das aber eher in akademischen Kreisen diskutiert wird
und in den gängigen Beiträgen zur Energiewende oft zu kurz kommt oder gänzlich
unter den Tisch gekehrt wird.
EROEI und EPBT – zwei Basisbegriffe
In der Energiebilanzierung, auch
als »Nettoenergieanalyse« bezeichnet, gibt es zwei Schlüsselbegriffe: EROEI (»Energy
Return on Energy Invested«) und EPBT (»Energy Payback Time«). Für die
Berechnung des »Energy Return on
Energy Invested« (EROEI oder ERoEI) wird der Energie-Output über die
Lebensdauer eines Energieerzeugungssystems (Eout) durch den
Energie-Input für Herstellung und Betrieb des Systems (Ein) dividiert[4]. Dieser fallweise auch als EROI (»Energy
Return on Investment«) und im Deutschen als »Erntefaktor« bezeichnete Wert[5]
drückt somit aus, wie oft eine energetische Investition (»Energy Invested«) in
ein Energieerzeugungssystem (Ein) über die Lebensdauer dieses
Systems durch den energetischen Output (Eout) oder den Ertrag (»Energy
Return«) wieder zurückgespielt wird.[6]
Die Energiemenge, die übrig bleibt, wenn man den Energie-Input vom
Energie-Output abzieht, wird auch als »Nettoenergie« bezeichnet.
Nehmen wir als Beispiel für die
Berechnung des EROEI den Fall einer Windenergieanlage[7].
Der Energie-Input (Ein) umfasst die Energie für den Abbau der
verschiedenen Rohstoffe und die Weiterverarbeitung dieser zu Werkstoffen, die
für den Bau der Windturbine erforderlich sind; die Energie für die Errichtung
der Turbine, den Bau der Zufahrtsstraße und den Anschluss der Anlage an das
Stromnetz; die Energie für den Betrieb der Turbine während ihrer Lebensdauer,
einschließlich der erforderlichen Ersatzteile, beispielsweise für den Austausch
der Turbinenblätter; und schließlich die Energie, die für die Stilllegung und
den Abbau der Anlage und die Sanierung des Standorts nach Ablauf der
Nutzungsdauer erforderlich ist. Diese letztgenannten Energiekosten für Stilllegung
und Abbau mögen für eine Windturbine relativ gering erscheinen, für einen
großen Kernreaktor und seine abgebrannten Brennelemente sind sie es jedoch
nicht.
Der Energie-Output (Eout)
ist jene Strommenge, die diese Windenergieanlage während ihrer gesamten
Lebenszeit produziert und ins Netz einspeist. Ist der Energie-Output für diese
Anlage beispielsweise zehnmal so groß wie der Energie-Input, dann errechnet
sich für den EROEI ein Wert von 10.
Die »Energy Payback Time« (EPBT, »Energetische Amortisationszeit«)[8]
drückt aus, wie lange es dauert, bis der Energie-Output eines
Energieerzeugungssystems so hoch ist wie der Energie-Input. Oder wenn wir die
Begrifflichkeit von Investition und Ertrag anwenden, steht die EPBT für die
Zeitdauer, bis die energetische Investition durch den energetischen Ertrag
wieder ausgeglichen wird, bis sich also diese Investition aus energetischer
Sicht amortisiert.
Bleiben wir als Beispiel für die
Bestimmung der Energy Payback Time bei der oben kurz besprochenen Windenergieanlage
und nehmen eine Lebensdauer dieser Anlage von 20 Jahren an. Während dieser 20
Jahre produziert die Windenergieanlage energetischen Output, indem sie den
generierten Strom ins Netz einspeist. Bei einem EROEI von 10 entspricht der
gesamte Energie-Output dem zehnfachen Energie-Input; dividiert durch die
Lebensdauer von 20 Jahren wird somit während eines Jahres eine Energiemenge in
der Höhe des halben Energie-Inputs produziert. Es dauert somit zwei Jahre, bis
der energetische Input durch den Output hereingespielt wird, die EPBT (oder
Energetische Amortisationszeit) beträgt also zwei Jahre für diese Anlage. Oder
anders ausgedrückt, nach zwei Jahren Laufzeit beginnt die Anlage Nettoenergie
zu produzieren und tut dies für die weiteren 18 Jahre bis zum Ende ihrer
Lebensdauer.
Die Wahl der Systemgrenzen – ein entscheidender Punkt
Der EROEI und die EPBT stehen im
Grunde für einfach zu verstehende Konzepte. In der Praxis ist es dann aber gar
nicht so einfach, den EROEI (oder die EPBT) für eine bestimmte Technologie
(oder Energiequelle) zu berechnen. Wie bereits eingangs beschrieben wurde,
können unterschiedliche Forschergruppen zu stark abweichenden Ergebnissen
kommen, was den EROEI betrifft. Während sich der energetische Output einer
Anlage relativ einfach messen lässt[9],
ist es deutlich schwieriger, den energetischen Input zu bestimmen. Bei dessen Berechnung
stellt sich die Frage, was alles genau zum energetischen Input gezählt werden
soll und wie hoch diese einzelnen Komponenten quantitativ bewertet werden.
Mit der Frage, was alles zum
energetischen Input gezählt werden soll, sind wir beim wichtigen Punkt der Wahl der Systemgrenzen angelangt. Systemgrenzen können enger oder weiter gefasst sein, je
nachdem welche Komponenten dem energetischen Input zugerechnet werden beziehungsweise
umgekehrt, welche Komponenten ausgeschlossen und somit nicht betrachtet werden.
Carlos de Castro und Iñigo
Capellán-Pérez unterscheiden in ihren Publikationen drei verschiedene
Kategorien des EROEI[10],
die sich in der Weite der jeweils gewählten Systemgrenze unterscheiden: Standard
EROEI, Point of Use EROEI (oder Final EROEI), und Extended
EROEI. Sie beziehen sich mit dieser Kategorisierung auf Arbeiten von
Charles Hall und David Murphy[11],
die als Pioniere im Forschungsfeld der Nettoenergieanalyse gelten.
Für die Berechnung des Standard EROEI (EROEISt) wird die engste Systemgrenze verwendet. Diese
Systemgrenze liegt dort, wo die Energie (bzw. der Energieträger) die
Produktions- oder Förderanlage verlässt. Im Standard EROEI sind somit jene
Energie-Inputs enthalten, welche notwendig sind, um an einem bestimmten
Standort beispielsweise Erdöl zu fördern oder Strom aus einem Kraftwerk zu
gewinnen. Im Fall einer Erdöl-Förderanlage werden Energie-Inputs vor Ort
beispielsweise durch den Betrieb von Förderpumpen verursacht, weiters sind die
Energie-Inputs für die Herstellung, Errichtung und den Abbau dieser Anlagen
enthalten. Bei einem Kraftwerk werden beim Standard EROEI die Energie-Inputs
für die Herstellung der Kraftwerksteile, die Errichtung des Kraftwerks, Betrieb
und Wartung und schließlich Rückbau des Kraftwerks berücksichtigt. Da beim
Standard EROEI noch am klarsten ist, welche energetischen Inputs zu
berücksichtigen sind, und es auch am einfachsten ist, diese Energie-Inputs zu
quantifizieren, ist er jene Variante des EROEI[12],
welche am häufigsten berechnet wird und auch am ehesten eine Vergleichbarkeit
zwischen verschiedenen Berechnungen ermöglicht.
Der Point of Use EROEI (EROEIpou),
der auch als Final EROEI (EROEIfin)[13]
bezeichnet wird, erweitert die engen Systemgrenzen des Standard EROEI. Bei
dieser Variante des EROEI werden jene energetischen Aufwendungen inkludiert,
die notwendig sind, damit der Energieträger, sei es jetzt in Form eines Treib-
oder Brennstoffs oder als Strom, beim Endverbraucher (bzw. beim »Point of use«)
schließlich ankommt. Im Fall von Erdöl ist der Energie-Input für die
Raffinierung des Rohöls zu den verschiedenen Endprodukten (wie Benzin oder
Diesel) und für den Transport dieser Produkte zu den Endverbrauchern (bzw. zu
den Tankstellen) im Point of Use EROEI enthalten. Im Fall von Elektrizität ist
der Aufwand für die Herstellung der gesamten Netzinfrastruktur (Übertragungs-
und Verteilnetze inklusive Transformatoren, etc.) inkludiert. Wird der Point of
Use EROEI für die volatile Stromerzeugung aus Windenergie oder Photovoltaik
berechnet, dann lässt sich plausibel argumentieren, dass auch der zusätzliche
Aufwand für die Stromspeicherung (Kurzzeit- und Langzeitspeicherung) und den
zusätzlichen Netzausbau in den energetischen Inputs enthalten sein sollten.
Der Extended EROEI geht noch
einen Schritt weiter. Während der Standard EROEI und der Point of Use EROEI nur
die direkten Energie-Inputs enthalten, sind im Extended EROEI auch die indirekten
Energie-Inputs enthalten. Für den Bau eines Kraftwerks, einer
Photovoltaikanlage, einer Erdölförderanlage, einer Pipeline braucht es
Maschinen und Infrastruktur, deren Herstellung ebenfalls Energie benötigt.
Diese indirekten Energie-Inputs für die Herstellung der Maschinen und der
Infrastruktur, die notwendig sind, damit Energieerzeugungs- und
Energietransportanlagen errichtet werden können, werden im Extended EROEI
zusätzlich zu den direkten Energie-Inputs miterfasst. Folgt man der
Terminologie der Input-Output-Rechnung, wird durch die Berücksichtigung der
indirekten Energie-Inputs nicht nur der Sektor betrachtet, in dem eine
bestimmte Anlage produziert wird, sondern auch jene Sektoren, von denen dieser
Sektor Inputs bekommt, die also diesem Sektor vorgelagert sind[14].
Die Einführung des Extended EROEI
verfolgt den Anspruch, möglichst alle energetischen Inputs zu erfassen – direkt
und indirekte –, die notwendig sind, damit Energie letztlich das tun kann, was
sie tun soll: Einen gesellschaftlichen Nutzen zu stiften, in welcher Form auch
immer (wobei sich natürlich die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit verschiedener
Energiedienstleistungen immer auch hinterfragen lässt, beispielsweise im
Bereich der individuellen Mobilität, aber im Grunde auch in allen anderen
Bereichen). Ein offensichtlicher Nachteil des Extended EROEI besteht darin,
dass dessen Berechnung deutlich komplexer ist (und somit auch Unsicherheiten in
den Berechnungsergebnissen höher ausfallen dürften). Wenn es aber gelingt, ihn
einigermaßen realitätsnah zu berechnen, dann kommt man im Ergebnis einer
realistischeren Bestimmung der Nettoenergie deutlich näher – jener
Energiemenge, die bleibt, wenn man alle (direkten und indirekten)
Energie-Inputs vom Energie-Output abzieht, und die der Gesellschaft für alle
möglichen Anwendungen außerhalb des Energiesektors übrigbleibt.
Wie hoch ist der minimale EROEI für das Aufrechterhalten
einer komplexen Gesellschaft?
Es ist unmittelbar einleuchtend,
dass eine Technologie zur Energieerzeugung einen EROEI von mindestens 1
erreichen muss, um in energetischer Hinsicht Sinn zu ergeben. Ansonsten würde
ja mehr Energie in sie hineingesteckt, als am Ende herauskommt. Bei der
Bestimmung des minimal notwendigen EROEI kommt es allerdings stark darauf an,
welche Systemgrenze man wählt. Denn der Wert des EROEI sinkt, je weiter die
Systemgrenze gewählt wurde: Mit einer erweiterten Systemgrenze werden mehr
Energie-Inputs in die Betrachtung miteinbezogen, somit wird der Energie-Output
durch einen höheren Wert dividiert, was zu einem niedrigeren (also energetisch
ungünstigeren) EROEI führt.
Insbesondere Biofuels (auch als »Biotreibstoffe«
bezeichnet), also synthetische Treibstoffe auf der Basis biogener Rohstoffe,
wie Biodiesel oder Bioethanol, kamen aufgrund eines niedrigen EROEI ins
Kreuzfeuer der Kritik. Sind diese in energetischer Hinsicht überhaupt sinnvoll?
Charles Hall, Stephen Balogh and David Murphy gehen im Artikel »What is the
Minimum EROI that a Sustainable Society Must Have?«[15]
unter anderem der Frage nach, welchen minimalen EROEI flüssige Treibstoffe
(entweder erdölbasierte Treibstoffe oder Ethanol auf der Basis von Mais) haben
müssten, damit diese nach allen Umwandlungs- und Transportschritten unter
Einbeziehung der indirekten Energieaufwände tatsächlich einen energetischen
Überschuss, also gesellschaftlich nutzbare Nettoenergie liefern. Die
Abschätzung von Hall et al. kommt zum Ergebnis, dass der Standard EROEI für
flüssige Treibstoffe mindestens den Wert von 3 erreichen müsste, um der
Gesellschaft Nettoenergie zur Verfügung zu stellen. Da Biotreibstoffe in der
Regel einen deutlich niedrigeren Standard EROEI als 3 haben (oft werden Werte
von nur knapp über 1 berechnet), ist davon auszugehen, dass diese in
energetischer Hinsicht quasi »Schmarotzer« sind, also von anderen
Energieträgern (mit höherem EROEI) »quersubventioniert« werden. Der niedrige
EROEI von Biofuels ist ein wesentliches Argument, das neben der »Teller versus
Tank«-Debatte, womit die Konkurrenz der Produktion von agrarischen Treibstoffen
mit der Nahrungsmittelerzeugung gemeint ist, gegen Biofuels spricht.
Charles Hall und Kollegen versuchen
sich in diesem Artikel auch an der Beantwortung der Frage, wie hoch der EROEI
der wichtigsten Energieträger sein müsste, um »so etwas wie Zivilisation« (»anything
like what we call civilization«) zu ermöglichen. Sie kommen zur Einschätzung,
dass der Standard EROEI der wichtigsten Energieträger für die Aufrechterhaltung
zivilisatorischer Standards bei mindestens 5 liegen müsste[16],
wobei sie einräumen, dass dieser Einschätzung eine spekulative Komponente
innewohnt, es sich also nur um einen »educated guess« (eine begründete
Abschätzung) handelt. Sie äußern auch die Vermutung, dass jeder Energieträger,
dessen EROEI unterhalb des gesellschaftlich durchschnittlichen EROEI liegt,
durch jene Energieträger, deren EROEI höher ist beziehungsweise dem
gesellschaftlichen Durchschnitt entspricht, in energetischer Hinsicht »quersubventioniert«
wird[17].
Auch wenn wir nicht genau wissen (oder
wissen können), wo dieser minimale EROEI liegt, der garantiert, dass eine
Gesellschaft gut funktioniert, zivilisatorische Standards eingehalten werden
können und eine (ausreichend) hohe Zahl von Energiedienstleistungen möglich
ist, ist zumindest klar, dass dafür ein gewisses, ausreichend hohes Maß an
Nettoenergie notwendig ist. Richard Heinberg beschreibt in »Searching for a
Miracle. ›Net Energy‹ Limits and the Fate of Industrial Society« die Bedeutung
eines hohen Nettoenergie-Anteils (und damit eines hohen EROEIs) für die
ökonomische und soziale Entwicklung von Gesellschaften in einer historischen
Perspektive folgendermaßen[18]:
»Wenn die erzeugte Nettoenergie einen großen
Teil der insgesamt erzeugten Energie ausmacht (zum Beispiel bei einem
Nettoenergieverhältnis [EROEI] von 100:1), bedeutet dies, dass der größte Teil
der insgesamt produzierten Energie für andere Zwecke als die Energieerzeugung
verwendet werden kann. Ein relativ kleiner Teil des gesellschaftlichen Aufwands
muss der Energieerzeugung gewidmet werden, und der größte Teil der
gesellschaftlichen Anstrengungen kann auf Aktivitäten gerichtet werden, die
eine Reihe von spezialisierten Berufen unterstützen, die nicht mit der
Energieerzeugung verbunden sind. An diese Situation haben wir uns gewöhnt,
da wir ein Jahrhundert lang Zugang zu billigen, reichlich vorhandenen fossilen
Brennstoffen hatten, die während des größten Teils des 20. Jahrhunderts eine
relativ hohe Energieausbeute boten.
Wenn andererseits die erzeugte
Nettoenergie nur einen kleinen Teil der insgesamt erzeugten Energie ausmacht (beispielsweise
bei einem EROEI von 10 oder weniger), bedeutet dies, dass ein relativ großer
Teil der verfügbaren Energie für die Energieerzeugung selbst eingesetzt werden
muss und nur ein kleiner Teil der verfügbaren Energie der Gesellschaft für
andere Ziele verwendet werden kann. […]
In der frühen Phase der fossilen
Brennstoffe (Ende des 19. Jahrhunderts und während des größten Teils des 20.
Jahrhunderts) wurden durch den Abbau und die Förderung dieser Brennstoffe noch
nie dagewesene Mengen sowohl an Gesamtenergie als auch an Nettoenergie
freigesetzt. Dieser plötzliche Überfluss an billiger Energie ermöglichte die
Industrialisierung, Spezialisierung, Verstädterung und Globalisierung, die die
letzten beiden Jahrhunderte dominiert haben. Damals genügte ein geringer
Aufwand für Exploration, Bohrungen und Bergbau, um eine enorme Energierendite
(EROEI) zu erzielen. Die Energiewirtschaft verfolgte bei der Erkundung und
Förderung verständlicherweise die Strategie des ›best-first‹ oder der ›low
hanging fruits‹ (›niedrig hängenden Früchte‹).
Das bedeutet, dass die hochwertigsten
und am leichtesten zugänglichen Kohle-, Öl- und Gasvorkommen vorrangig erkundet
und abgebaut wurden. Doch mit jedem Jahrzehnt, das verging, ging die
Nettoenergie (im Vergleich zur Gesamtenergie), die aus der Gewinnung fossiler
Brennstoffe gewonnen wurde, zurück, da die Energie-Unternehmen gezwungen waren,
an ungünstigeren Orten nach Bodenschätzen zu suchen und auf minderwertigere
Ressourcen zurückzugreifen. In den Anfängen der US-Ölindustrie war beispielsweise
ein EROEI von 100:1 üblich, während man heute davon ausgeht, dass sich die
Explorationsanstrengungen der Ölindustrie in den USA einem EROEI von 1:1
nähern.«
Richard Heinberg weist in diesem
Zitat auf die historisch einmalige Situation hin, die mit der Nutzung fossiler
Energieträger einsetzte. In vorindustriellen, agrarischen Gesellschaften war
die Ausbeute an Nettoenergie relativ gering, was sich – wie von Heinberg auch
beschrieben – in einem sehr hohen Anteil der Bevölkerung, der in der
Landwirtschaft arbeitete, manifestierte. Erst der Einsatz von fossilen
Energieträgern in großem Stil, die zu Beginn der »fossilen Ära« mit
vergleichsweise geringem Aufwand zu gewinnen waren, ermöglichte die
Industrialisierung und die fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen, die
in etwa mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzten, zunächst in den USA und
Europa und schließlich weltweit. In den letzten Jahrzehnten gibt es aber die
Tendenz eines fallenden EROEI, einer fallenden Nettoenergieausbeute.
Einerseits, weil es immer aufwändiger wird, die verbleibenden Lagerstätten
fossiler Rohstoffe auszubeuten, und andererseits, weil die alternativen
Energieträger und Energietechnologien, die die fossilen Energien ersetzen
sollen, einen tendenziell niedrigeren EROEI aufweisen (dazu unten noch mehr).
Abb. 1 zeigt
eine Übersicht über den Standard EROEI verschiedener Energieträger und
Energieerzeugungstechnologien. In dieser Art der Darstellung, von Charles Hall
und seinem Team entwickelt[19],
ist der EROEI einer Energiequelle über deren Verbrauch aufgetragen. Die meisten
Werte beziehen sich auf die Situation in den USA im Jahr 2005, für Erdöl sind
aber auch historische Werte erfasst (»domestic oil 1930«, »domestic oil 1970«,
»imported oil 1970«). Je weiter rechts eine Energiequelle liegt, desto größer
ist ihre Bedeutung im Energiesystem, je weiter oben sie liegt, desto höher ist
ihr EROEI. Durch die elliptische Darstellung wird veranschaulicht, wie hoch der
Unsicherheitsbereich bei der Abschätzung des EROEI ist. Kohle liegt
beispielsweise bei einem EROEI zwischen 50 und 80, Erdgas zwischen 10 und 20
oder Wasserkraft (»hydro«) zwischen 20 und 40. Für alle in der USA im Jahr 2005
genutzten Energiequellen (»U.S. All sources«) lag der geschätzte EROEI zwischen
25 und 45.
Abb. 1: Standard EROEI
verschiedener Energieträger und Energietechnologien (USA 2005), siehe dazu auch
die ausführliche Beschreibung im Text. Quelle: Heinberg (2009), S. 28, basierend
auf Hall (2008).
Der Rückgang des
EROEI im Lauf der Zeit für Erdöl, das in den USA gefördert wurde, ist klar
erkennbar. Während dieser 1930 noch bei rund 100 lag (»domestic oil 1930«),
fiel er 1970 auf 30 und lag 2005 im Mittel bei knapp über 10. Auch für
importiertes Erdöl fiel der EROEI, von etwa 30 im Jahr 1970 auf 20 im Jahr
2005. Am ganz linken Rand dieser Abbildung befinden sich die schmalen Ellipsen
für Windenergie und Photovoltaik. Im Jahr 2005 standen diese
Energieerzeugungstechnologien erst am Anfang des Ausbaus, mittlerweile haben
diese deutlich an Bedeutung gewonnen und sind nach rechts gerückt, haben in
etwa mit der Wasserkraft aufgeschlossen. Der (Standard) EROEI für Windenergie
liegt gemäß dieser Darstellung zwischen 15 und 25, für Photovoltaik zwischen 5
und 10 (zur Bandbreite des EROEI für Photovoltaik und Windkraft folgt unten noch
eine ausführlichere Diskussion). In der linken unteren Ecke befindet sich eine
flache Ellipse, beschriftet mit »biofuels, tar sands« (Bio-/Agrotreibstoffe,
Ölsande). Mit einem EROEI von knapp über 1 sind Biotreibstoffe und Ölsande weit
abgeschlagen die Schlusslichter im EROEI-Ranking.
Der schattierte Streifen im unteren
Bereich stellt den geschätzten Mindest-EROEI dar, der erforderlich ist, um eine
moderne Industriegesellschaft aufrechtzuerhalten (»minimum EROEI required«).
Richard Heinberg vermutet, dass dieser Wert bei etwa 10 liegen könnte (bezogen
auf den Standard EROEI). Wenn man von diesem Wert von 10 für den Mindest-EROEI
ausgeht, dann würde Photovoltaik unter dieser Schwelle liegen, Biotreibstoffe
und Ölsande sogar weit darunter. Die Kernenergie mit einem EROEI von 10 im
Mittel ist in dieser Darstellung genau an dieser Grenze lokalisiert.
Der EROEI-Wert von 10 ist in zweifacher
Hinsicht bemerkenswert: Erstens, weil dieser im Bereich des Mindest-EROEIs für
eine moderne Industriegesellschaft liegen könnte, zweitens, weil es unterhalb
dieses Werts mit der Nettoenergieausbeute rasch bergab geht. Dieser rasche
Abfall des Nettoenergieanteils unter einem Wert von 10 wird sehr anschaulich in
der Darstellung der sogenannten »Net Energy Cliff« (»Nettoenergie-Klippe«),
welche Abb. 2 zeigt.
Abb. 2: Die »Nettoenergie-Klippe«
(»Net Energy Cliff«), Nettoenergie-Anteil in Abhängigkeit des EROEI (die
prozentualen Anteile sind auf den Energie-Output bezogen), Hellgrauer Bereich
oben: Energie, die benötigt wird, um Energie bereitzustellen; dunkelgrauer
Bereich unten: für Gesellschaft nutzbare Nettoenergie. Quelle: Lambert et al.
(2014), S. 154
In dieser Darstellung
ist der Anteil der Nettoenergie in Abhängigkeit des EROEI aufgetragen, wobei
der EROEI von links nach rechts abnimmt. Die hellere Fläche oberhalb dieser
Kurve zeigt den Anteil des Energie-Inputs bei einem bestimmten EROEI, die dunkle
Fläche unterhalb der Kurve den Anteil der Nettoenergie, der bei einem
bestimmten EROEI resultiert, wobei die prozentualen Werte immer auf den
Energie-Output bezogen sind. Bei einem EROEI von 50 beispielsweise (in der
Abbildung ganz links) beträgt der Energie-Input 2 Prozent und der
Nettoenergieanteil 98 Prozent, bezogen auf den Energie-Output. Bei einem EROEI
von 10 wächst der Energie-Input auf 10 %, während die Nettoenergieausbeute auf
90 % absinkt. Bei einem EROEI von 4 ist der Energie-Input bereits auf 25 %
angewachsen, der Nettoenergieanteil auf 75 % geschrumpft, während bei einem
EROEI von 1 der Anteil der Nettoenergie auf Null kollabiert ist.
Von links nach rechts gesehen verläuft
diese Kurve zunächst sehr flach, ab einem Wert von 10 allerdings nähern wir uns
der »Nettoenergie-Klippe«, von da an geht es steil nach unten, bis die Kurve
bei einem EROEI von 1 schließlich den Wert Null für den Nettoenergieanteil
erreicht. Sinkt der EROEI beispielsweise von 50 auf 20, klingt das zwar nach
einem starken Abfall, die Auswirkungen auf den Energie-Input und den
Nettoenergieanteil sind aber noch gering – der (zum Energie-Output relative)
Anteil des Energie-Inputs steigt dann von 2 auf 5 %, der Nettoenergieanteil
sinkt von 98 auf 95 %. Sinkt der EROEI aber von 10 auf 2, verfünffacht sich der
Energie-Input von 10 auf 50 % und der Nettoenergieanteil sinkt von 90 auf 50 %.
Der rasche Abfall der Kurve unterhalb einem EROEI von 10 wird im symbolischen
Begriff der »Nettoenergie-Klippe« ausgedrückt.
In der obigen Abbildung sind auch
Bandbreiten der EROEI-Werte für einige Energiequellen bzw. -technologien
eingezeichnet (z.B. »Historic Oil and Gas Fields«, »Photovoltaic Energy« etc.).
An den relativ hohen Werten lässt sich erkennen, dass es sich dabei um den
Standard EROEI handelt. Würde es stattdessen der Final EROEI oder der Extended
EROEI sein, würde die Abbildung im Prinzip gleichbleiben, aber die
eingezeichneten Bereiche für die einzelnen Energiequellen bzw. -technologien
würden sich nach rechts (in Richtung niedrigerer EROEI-Werte) verschieben. Beziehungsweise
bedeutet die Verwendung des Standard EROEI, dass ein Teil des
Nettoenergieanteils eigentlich noch im Energiebereitstellungssystem
verschwindet, also gar keine »echte« Nettoenergie ist. Das bedeutet, dass (bei
Verwendung des Standard EROEI, wie in obiger Abbildung) der »wahre« Nettoenergieanteil,
also jener Anteil der Nettoenergie, der tatsächlich für gesellschaftlich
nutzbringende Anwendungen außerhalb des Energiebereitstellungssystems zur
Verfügung steht, entsprechend geringer ausfällt.
[1] Raugei et al. (2017). Ein insgesamt 22-köpfiges Team (3
Wissenschaftlerinnen, 19 Wissenschaftler) bildet die Autorenschaft dieses
Artikels. Die Autoren sind insgesamt 23 verschiedenen Institutionen zugeordnet
(drei Autoren sind zwei Institutionen zugeordnet).
[2] Ferroni/Hopkirk (2016)
[3] Ferroni et al. (2017)
[4] Moriarty/Honnery (2020)
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Erntefaktor (abgerufen am 4.3.2025)
[6] In sprachlicher Hinsicht lehnt sich der Begriff des EROEI an jenen
des ROI (»Return on Investment«, also die Kapitalrendite) aus der
Betriebswirtschaft an.
[7] Die Beschreibung dieses Fallbeispiels ist ebenfalls aus
Moriarty/Honnery (2020) entnommen.
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Erntefaktor#Energetische_Amortisationszeit
(abgerufen am 5.3.2025)
[9] Aber auch bei der Bestimmung des Energie-Outputs kann es zu nicht
unerheblichen Unterschieden kommen, beispielsweise hinsichtlich der verwendeten
Annahmen für die durchschnittliche Lebensdauer oder die durchschnittliche
Volllaststundenzahl einer Anlage.
[10] De Castro/Capellán-Pérez (2020), Capellán-Pérez et al. (2019). De
Castro und Capellán-Pérez wie auch andere Autoren (wie Charles Hall oder David
Murphy) verwenden statt EROEI die Bezeichnung EROI. Entsprechend findet man in
ihren Publikationen auch die Bezeichnungen Standard EROI, Point of Use EROI,
etc. In diesem Kapitel wird aber einheitlich immer die Bezeichnung EROEI
verwendet, womit auch die Originalbezeichnungen von de Castro und
Capellán-Pérez entsprechend angepasst sind.
[11] Murphy et al. (2011), Hall et al. (2014)
[12] Wenn im Folgenden der
Begriff »EROEI« ohne nähere Spezifikation erwähnt wird, ist damit der Standard
EROEI gemeint.
[13] De Castro/Capellán-Pérez (2020)
[14] Diese Definition des Extended EROEI basiert auf De
Castro/Capellán-Pérez (2020). De Castro und Capellán-Pérez rechnen auch »energy
required for exploration, investment, communication, labor«, also Energie für
die Auffindung von Produktionsstandorten und Lagerstätten, für Investitionen,
Kommunikation und Arbeitskräfte den indirekten Energie-Inputs zu, wobei die
Frage ist, inwieweit diese Inputs nicht bereits teilweise in den direkten
Energie-Inputs enthalten sind. Dies ist unter dem methodischen Anspruch,
Doppelzählungen zu vermeiden, relevant, worauf etwa Raugei et al. (2017)
hinweisen.
[15] Hall et al. (2009)
[16] ebd., S. 45
[17] ebd.
[18] Heinberg (2009), S. 24f., Übersetzung und Hervorhebung durch den
Autor
[19] Hall (2008). Die verwendete Darstellung hier stammt aus Heinberg
(2009) und ist im Vergleich zur Originaldarstellung von Charles Hall etwas
modifiziert. Eine Quadrillion Btu (British thermal Unit) entspricht 293 TWh; http://www.aweo.org/windunits.html,
abgerufen am 8.7.2025


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