Freitag, 26. Dezember 2025

Wie viel Energie bleibt unterm Strich übrig? Grundlagen und Relevanz der Nettoenergieperspektive

Ernst Schriefl

Dieser Beitrag ist der erste Teil des Kapitels "Wie viel Energie bleibt unterm Strich übrig - Die Nettoenergieperspektive" aus meinem Buch "Raus aus Kohle, Öl und Gas - aber wie? Die Dilemmata der Energiewende". In diesem Text werden zunächst die Basisbegriffe EROEI (Energy Return on Energy Invested) und EPBT (Energy Payback Time) erläutert, anschließend die Bedeutung der Wahl der Systemgrenzen für die Berechnung des EROEI und die Frage, wie hoch der minimale EROEI für das Aufrechterhalten einer komplexen Gesellschaft sein könnte, diskutiert.  

Das Buch ist im Dezember 2025 im Büchner Verlag erschienen. Hier der Link zur Vorstellung des Buchs auf der Homepage des Büchner Verlags: https://www.buechner-verlag.de/buch/raus-aus-kohle-oel-und-gas-aber-wie

Eine umfassende Antwort

Im März 2017 erschien in der renommierten Fachzeitschrift »Energy Policy« ein Artikel[1], welcher eine entschiedene Antwort auf einen anderen Artikel, der acht Monate zuvor in der gleichen Fachzeitschrift erschienen war, darstellte. Der ursprüngliche Artikel von Ferruccio Ferroni und Robert J. Hopkirk[2], auf den sich die Antwort aus dem März 2017 bezog, kam zu einer gewagten Schlussfolgerung: Der Betrieb von Photovoltaikanlagen in Mitteleuropa sei eine »energetische Senke«, habe also eine negative Energiebilanz.

Wenn man die gesamte Energie, die in die industrielle Fertigung und Errichtung einer Photovoltaikanlage hineingesteckt wird, inklusive des Aufwands für Netzintegration und Speicherung, berechnet und diese Energiemenge dem gesamten Ertrag über die Lebenszeit dieser Photovoltaikanlage gegenüberstellt, dann ergäbe sich ein Minus in der Energiebilanz. Die gesamte in die Photovoltaikanlage (inklusive der notwendigen Zusatzmaßnahmen) hineingesteckte Energie wäre also höher als der gesamte Energieertrag aus der Anlage, zumindest auf die Verhältnisse in Mitteleuropa bezogen. Dieses Ergebnis wirkt auf den ersten Blick sicher überraschend und kontraintuitiv.

Würden die Resultate der Analyse von Ferroni und Hopkirk tatsächlich stimmen, dann wäre die Installation von Photovoltaikanlagen in mittleren Breiten ein »Schildbürgerstreich« in energetischer Hinsicht. Eine Photovoltaikanlage in Mitteleuropa könne dann vielleicht einer Beruhigung des schlechten Gewissens dienen und suggerieren, dass man tolle Fortschritte in Richtung einer nachhaltigeren Energiezukunft mache, aber unterm Strich würde sie letztlich den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen (in einer globalen Sicht) ankurbeln. Die enorme Tragweite dieser Aussage, wäre sie tatsächlich richtig, ist somit nicht zu unterschätzen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es nicht besonders lange dauerte, bis eine entschiedene Replik auf den Artikel von Ferroni und Hopkirk erschien, eben die bereits oben erwähnte umfassende Antwort (»A comprehensive response«).

In dieser umfassenden Antwort werden Ferroni und Hopkirk schwerwiegende methodische Fehler und Ungereimtheiten vorgeworfen. Sie verwendeten veraltete Informationen und machten ungültige Annahmen zu PV-Spezifikationen und anderen Schlüsselparametern. Auch Berechnungsfehler, einschließlich Doppelzählungen, seien in der Analyse von Ferroni und Hopkirk enthalten. Ein Streitpunkt ist auch die Wahl der adäquaten Systemgrenzen. Während Ferroni und Hopkirk von erweiterten Systemgrenzen ausgingen, wurde dieser Ansatz in der Antwort von Raugei et al. kritisch hinterfragt, wiewohl Raugei et al. dann doch in einer zusätzlichen Rechnung diese erweiterten Systemgrenzen berücksichtigten, auch wenn sie damit trotzdem zu deutlich günstigeren Ergebnissen als Ferroni und Hopkirk kamen (zur Frage der Wahl der Systemgrenzen folgt unten noch mehr).

Ferroni und Hopkirk ließen diese scharfe Kritik an ihren methodischen Ansätzen und Berechnungen übrigens nicht auf sich beruhen. Einige Monate später erschien, ebenfalls wieder in »Energy Policy« unter Heranziehung eines weiteren Ko-Autors, eine ähnlich umfassende Antwort auf die Antwort, in der versucht wurde, die Gegenargumente von Raugei et al. wieder zu entkräften. Ferroni und Hopkirk beharrten auf der Richtigkeit ihres ursprünglichen Ergebnisses[3].

An dieser Stelle soll nicht weiter erörtert werden, welche Seite denn nun recht habe (weiter unten werden allerdings einige Arbeiten zur Energiebilanz von Photovoltaik und Windenergie noch diskutiert). Wie das in wissenschaftlichen Debatten häufig der Fall ist, lässt sich nicht so einfach und so klar entscheiden, wer denn nun wirklich recht hat oder ob die Wahrheit vielleicht irgendwo zwischen verschiedenen (Extrem)-Positionen liegt. Ferroni und Hopkirk haben mit der Frage der Energiebilanz von Photovoltaik allerdings ein durchaus gewichtiges Thema in ihrem Debattenbeitrag aufgegriffen. Ein Thema, das aber eher in akademischen Kreisen diskutiert wird und in den gängigen Beiträgen zur Energiewende oft zu kurz kommt oder gänzlich unter den Tisch gekehrt wird.


EROEI und EPBT – zwei Basisbegriffe

In der Energiebilanzierung, auch als »Nettoenergieanalyse« bezeichnet, gibt es zwei Schlüsselbegriffe: EROEI (»Energy Return on Energy Invested«) und EPBT (»Energy Payback Time«). Für die Berechnung des »Energy Return on Energy Invested« (EROEI oder ERoEI) wird der Energie-Output über die Lebensdauer eines Energieerzeugungssystems (Eout) durch den Energie-Input für Herstellung und Betrieb des Systems (Ein) dividiert[4]. Dieser fallweise auch als EROI (»Energy Return on Investment«) und im Deutschen als »Erntefaktor« bezeichnete Wert[5] drückt somit aus, wie oft eine energetische Investition (»Energy Invested«) in ein Energieerzeugungssystem (Ein) über die Lebensdauer dieses Systems durch den energetischen Output (Eout) oder den Ertrag (»Energy Return«) wieder zurückgespielt wird.[6] Die Energiemenge, die übrig bleibt, wenn man den Energie-Input vom Energie-Output abzieht, wird auch als »Nettoenergie« bezeichnet.

Nehmen wir als Beispiel für die Berechnung des EROEI den Fall einer Windenergieanlage[7]. Der Energie-Input (Ein) umfasst die Energie für den Abbau der verschiedenen Rohstoffe und die Weiterverarbeitung dieser zu Werkstoffen, die für den Bau der Windturbine erforderlich sind; die Energie für die Errichtung der Turbine, den Bau der Zufahrtsstraße und den Anschluss der Anlage an das Stromnetz; die Energie für den Betrieb der Turbine während ihrer Lebensdauer, einschließlich der erforderlichen Ersatzteile, beispielsweise für den Austausch der Turbinenblätter; und schließlich die Energie, die für die Stilllegung und den Abbau der Anlage und die Sanierung des Standorts nach Ablauf der Nutzungsdauer erforderlich ist. Diese letztgenannten Energiekosten für Stilllegung und Abbau mögen für eine Windturbine relativ gering erscheinen, für einen großen Kernreaktor und seine abgebrannten Brennelemente sind sie es jedoch nicht.

Der Energie-Output (Eout) ist jene Strommenge, die diese Windenergieanlage während ihrer gesamten Lebenszeit produziert und ins Netz einspeist. Ist der Energie-Output für diese Anlage beispielsweise zehnmal so groß wie der Energie-Input, dann errechnet sich für den EROEI ein Wert von 10.

Die »Energy Payback Time« (EPBT, »Energetische Amortisationszeit«)[8] drückt aus, wie lange es dauert, bis der Energie-Output eines Energieerzeugungssystems so hoch ist wie der Energie-Input. Oder wenn wir die Begrifflichkeit von Investition und Ertrag anwenden, steht die EPBT für die Zeitdauer, bis die energetische Investition durch den energetischen Ertrag wieder ausgeglichen wird, bis sich also diese Investition aus energetischer Sicht amortisiert.

Bleiben wir als Beispiel für die Bestimmung der Energy Payback Time bei der oben kurz besprochenen Windenergieanlage und nehmen eine Lebensdauer dieser Anlage von 20 Jahren an. Während dieser 20 Jahre produziert die Windenergieanlage energetischen Output, indem sie den generierten Strom ins Netz einspeist. Bei einem EROEI von 10 entspricht der gesamte Energie-Output dem zehnfachen Energie-Input; dividiert durch die Lebensdauer von 20 Jahren wird somit während eines Jahres eine Energiemenge in der Höhe des halben Energie-Inputs produziert. Es dauert somit zwei Jahre, bis der energetische Input durch den Output hereingespielt wird, die EPBT (oder Energetische Amortisationszeit) beträgt also zwei Jahre für diese Anlage. Oder anders ausgedrückt, nach zwei Jahren Laufzeit beginnt die Anlage Nettoenergie zu produzieren und tut dies für die weiteren 18 Jahre bis zum Ende ihrer Lebensdauer.


Die Wahl der Systemgrenzen – ein entscheidender Punkt

Der EROEI und die EPBT stehen im Grunde für einfach zu verstehende Konzepte. In der Praxis ist es dann aber gar nicht so einfach, den EROEI (oder die EPBT) für eine bestimmte Technologie (oder Energiequelle) zu berechnen. Wie bereits eingangs beschrieben wurde, können unterschiedliche Forschergruppen zu stark abweichenden Ergebnissen kommen, was den EROEI betrifft. Während sich der energetische Output einer Anlage relativ einfach messen lässt[9], ist es deutlich schwieriger, den energetischen Input zu bestimmen. Bei dessen Berechnung stellt sich die Frage, was alles genau zum energetischen Input gezählt werden soll und wie hoch diese einzelnen Komponenten quantitativ bewertet werden.

Mit der Frage, was alles zum energetischen Input gezählt werden soll, sind wir beim wichtigen Punkt der Wahl der Systemgrenzen angelangt. Systemgrenzen können enger oder weiter gefasst sein, je nachdem welche Komponenten dem energetischen Input zugerechnet werden beziehungsweise umgekehrt, welche Komponenten ausgeschlossen und somit nicht betrachtet werden.

Carlos de Castro und Iñigo Capellán-Pérez unterscheiden in ihren Publikationen drei verschiedene Kategorien des EROEI[10], die sich in der Weite der jeweils gewählten Systemgrenze unterscheiden: Standard EROEI, Point of Use EROEI (oder Final EROEI), und Extended EROEI. Sie beziehen sich mit dieser Kategorisierung auf Arbeiten von Charles Hall und David Murphy[11], die als Pioniere im Forschungsfeld der Nettoenergieanalyse gelten.

Für die Berechnung des Standard EROEI (EROEISt) wird die engste Systemgrenze verwendet. Diese Systemgrenze liegt dort, wo die Energie (bzw. der Energieträger) die Produktions- oder Förderanlage verlässt. Im Standard EROEI sind somit jene Energie-Inputs enthalten, welche notwendig sind, um an einem bestimmten Standort beispielsweise Erdöl zu fördern oder Strom aus einem Kraftwerk zu gewinnen. Im Fall einer Erdöl-Förderanlage werden Energie-Inputs vor Ort beispielsweise durch den Betrieb von Förderpumpen verursacht, weiters sind die Energie-Inputs für die Herstellung, Errichtung und den Abbau dieser Anlagen enthalten. Bei einem Kraftwerk werden beim Standard EROEI die Energie-Inputs für die Herstellung der Kraftwerksteile, die Errichtung des Kraftwerks, Betrieb und Wartung und schließlich Rückbau des Kraftwerks berücksichtigt. Da beim Standard EROEI noch am klarsten ist, welche energetischen Inputs zu berücksichtigen sind, und es auch am einfachsten ist, diese Energie-Inputs zu quantifizieren, ist er jene Variante des EROEI[12], welche am häufigsten berechnet wird und auch am ehesten eine Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Berechnungen ermöglicht.

Der Point of Use EROEI (EROEIpou), der auch als Final EROEI (EROEIfin)[13] bezeichnet wird, erweitert die engen Systemgrenzen des Standard EROEI. Bei dieser Variante des EROEI werden jene energetischen Aufwendungen inkludiert, die notwendig sind, damit der Energieträger, sei es jetzt in Form eines Treib- oder Brennstoffs oder als Strom, beim Endverbraucher (bzw. beim »Point of use«) schließlich ankommt. Im Fall von Erdöl ist der Energie-Input für die Raffinierung des Rohöls zu den verschiedenen Endprodukten (wie Benzin oder Diesel) und für den Transport dieser Produkte zu den Endverbrauchern (bzw. zu den Tankstellen) im Point of Use EROEI enthalten. Im Fall von Elektrizität ist der Aufwand für die Herstellung der gesamten Netzinfrastruktur (Übertragungs- und Verteilnetze inklusive Transformatoren, etc.) inkludiert. Wird der Point of Use EROEI für die volatile Stromerzeugung aus Windenergie oder Photovoltaik berechnet, dann lässt sich plausibel argumentieren, dass auch der zusätzliche Aufwand für die Stromspeicherung (Kurzzeit- und Langzeitspeicherung) und den zusätzlichen Netzausbau in den energetischen Inputs enthalten sein sollten.

Der Extended EROEI geht noch einen Schritt weiter. Während der Standard EROEI und der Point of Use EROEI nur die direkten Energie-Inputs enthalten, sind im Extended EROEI auch die indirekten Energie-Inputs enthalten. Für den Bau eines Kraftwerks, einer Photovoltaikanlage, einer Erdölförderanlage, einer Pipeline braucht es Maschinen und Infrastruktur, deren Herstellung ebenfalls Energie benötigt. Diese indirekten Energie-Inputs für die Herstellung der Maschinen und der Infrastruktur, die notwendig sind, damit Energieerzeugungs- und Energietransportanlagen errichtet werden können, werden im Extended EROEI zusätzlich zu den direkten Energie-Inputs miterfasst. Folgt man der Terminologie der Input-Output-Rechnung, wird durch die Berücksichtigung der indirekten Energie-Inputs nicht nur der Sektor betrachtet, in dem eine bestimmte Anlage produziert wird, sondern auch jene Sektoren, von denen dieser Sektor Inputs bekommt, die also diesem Sektor vorgelagert sind[14].

Die Einführung des Extended EROEI verfolgt den Anspruch, möglichst alle energetischen Inputs zu erfassen – direkt und indirekte –, die notwendig sind, damit Energie letztlich das tun kann, was sie tun soll: Einen gesellschaftlichen Nutzen zu stiften, in welcher Form auch immer (wobei sich natürlich die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit verschiedener Energiedienstleistungen immer auch hinterfragen lässt, beispielsweise im Bereich der individuellen Mobilität, aber im Grunde auch in allen anderen Bereichen). Ein offensichtlicher Nachteil des Extended EROEI besteht darin, dass dessen Berechnung deutlich komplexer ist (und somit auch Unsicherheiten in den Berechnungsergebnissen höher ausfallen dürften). Wenn es aber gelingt, ihn einigermaßen realitätsnah zu berechnen, dann kommt man im Ergebnis einer realistischeren Bestimmung der Nettoenergie deutlich näher – jener Energiemenge, die bleibt, wenn man alle (direkten und indirekten) Energie-Inputs vom Energie-Output abzieht, und die der Gesellschaft für alle möglichen Anwendungen außerhalb des Energiesektors übrigbleibt.


Wie hoch ist der minimale EROEI für das Aufrechterhalten einer komplexen Gesellschaft?

Es ist unmittelbar einleuchtend, dass eine Technologie zur Energieerzeugung einen EROEI von mindestens 1 erreichen muss, um in energetischer Hinsicht Sinn zu ergeben. Ansonsten würde ja mehr Energie in sie hineingesteckt, als am Ende herauskommt. Bei der Bestimmung des minimal notwendigen EROEI kommt es allerdings stark darauf an, welche Systemgrenze man wählt. Denn der Wert des EROEI sinkt, je weiter die Systemgrenze gewählt wurde: Mit einer erweiterten Systemgrenze werden mehr Energie-Inputs in die Betrachtung miteinbezogen, somit wird der Energie-Output durch einen höheren Wert dividiert, was zu einem niedrigeren (also energetisch ungünstigeren) EROEI führt.

Insbesondere Biofuels (auch als »Biotreibstoffe« bezeichnet), also synthetische Treibstoffe auf der Basis biogener Rohstoffe, wie Biodiesel oder Bioethanol, kamen aufgrund eines niedrigen EROEI ins Kreuzfeuer der Kritik. Sind diese in energetischer Hinsicht überhaupt sinnvoll? Charles Hall, Stephen Balogh and David Murphy gehen im Artikel »What is the Minimum EROI that a Sustainable Society Must Have?«[15] unter anderem der Frage nach, welchen minimalen EROEI flüssige Treibstoffe (entweder erdölbasierte Treibstoffe oder Ethanol auf der Basis von Mais) haben müssten, damit diese nach allen Umwandlungs- und Transportschritten unter Einbeziehung der indirekten Energieaufwände tatsächlich einen energetischen Überschuss, also gesellschaftlich nutzbare Nettoenergie liefern. Die Abschätzung von Hall et al. kommt zum Ergebnis, dass der Standard EROEI für flüssige Treibstoffe mindestens den Wert von 3 erreichen müsste, um der Gesellschaft Nettoenergie zur Verfügung zu stellen. Da Biotreibstoffe in der Regel einen deutlich niedrigeren Standard EROEI als 3 haben (oft werden Werte von nur knapp über 1 berechnet), ist davon auszugehen, dass diese in energetischer Hinsicht quasi »Schmarotzer« sind, also von anderen Energieträgern (mit höherem EROEI) »quersubventioniert« werden. Der niedrige EROEI von Biofuels ist ein wesentliches Argument, das neben der »Teller versus Tank«-Debatte, womit die Konkurrenz der Produktion von agrarischen Treibstoffen mit der Nahrungsmittelerzeugung gemeint ist, gegen Biofuels spricht.

Charles Hall und Kollegen versuchen sich in diesem Artikel auch an der Beantwortung der Frage, wie hoch der EROEI der wichtigsten Energieträger sein müsste, um »so etwas wie Zivilisation« (»anything like what we call civilization«) zu ermöglichen. Sie kommen zur Einschätzung, dass der Standard EROEI der wichtigsten Energieträger für die Aufrechterhaltung zivilisatorischer Standards bei mindestens 5 liegen müsste[16], wobei sie einräumen, dass dieser Einschätzung eine spekulative Komponente innewohnt, es sich also nur um einen »educated guess« (eine begründete Abschätzung) handelt. Sie äußern auch die Vermutung, dass jeder Energieträger, dessen EROEI unterhalb des gesellschaftlich durchschnittlichen EROEI liegt, durch jene Energieträger, deren EROEI höher ist beziehungsweise dem gesellschaftlichen Durchschnitt entspricht, in energetischer Hinsicht »quersubventioniert« wird[17].

Auch wenn wir nicht genau wissen (oder wissen können), wo dieser minimale EROEI liegt, der garantiert, dass eine Gesellschaft gut funktioniert, zivilisatorische Standards eingehalten werden können und eine (ausreichend) hohe Zahl von Energiedienstleistungen möglich ist, ist zumindest klar, dass dafür ein gewisses, ausreichend hohes Maß an Nettoenergie notwendig ist. Richard Heinberg beschreibt in »Searching for a Miracle. ›Net Energy‹ Limits and the Fate of Industrial Society« die Bedeutung eines hohen Nettoenergie-Anteils (und damit eines hohen EROEIs) für die ökonomische und soziale Entwicklung von Gesellschaften in einer historischen Perspektive folgendermaßen[18]:

»Wenn die erzeugte Nettoenergie einen großen Teil der insgesamt erzeugten Energie ausmacht (zum Beispiel bei einem Nettoenergieverhältnis [EROEI] von 100:1), bedeutet dies, dass der größte Teil der insgesamt produzierten Energie für andere Zwecke als die Energieerzeugung verwendet werden kann. Ein relativ kleiner Teil des gesellschaftlichen Aufwands muss der Energieerzeugung gewidmet werden, und der größte Teil der gesellschaftlichen Anstrengungen kann auf Aktivitäten gerichtet werden, die eine Reihe von spezialisierten Berufen unterstützen, die nicht mit der Energieerzeugung verbunden sind. An diese Situation haben wir uns gewöhnt, da wir ein Jahrhundert lang Zugang zu billigen, reichlich vorhandenen fossilen Brennstoffen hatten, die während des größten Teils des 20. Jahrhunderts eine relativ hohe Energieausbeute boten.

Wenn andererseits die erzeugte Nettoenergie nur einen kleinen Teil der insgesamt erzeugten Energie ausmacht (beispielsweise bei einem EROEI von 10 oder weniger), bedeutet dies, dass ein relativ großer Teil der verfügbaren Energie für die Energieerzeugung selbst eingesetzt werden muss und nur ein kleiner Teil der verfügbaren Energie der Gesellschaft für andere Ziele verwendet werden kann. […]

In der frühen Phase der fossilen Brennstoffe (Ende des 19. Jahrhunderts und während des größten Teils des 20. Jahrhunderts) wurden durch den Abbau und die Förderung dieser Brennstoffe noch nie dagewesene Mengen sowohl an Gesamtenergie als auch an Nettoenergie freigesetzt. Dieser plötzliche Überfluss an billiger Energie ermöglichte die Industrialisierung, Spezialisierung, Verstädterung und Globalisierung, die die letzten beiden Jahrhunderte dominiert haben. Damals genügte ein geringer Aufwand für Exploration, Bohrungen und Bergbau, um eine enorme Energierendite (EROEI) zu erzielen. Die Energiewirtschaft verfolgte bei der Erkundung und Förderung verständlicherweise die Strategie des ›best-first‹ oder der ›low hanging fruits‹ (›niedrig hängenden Früchte‹).

Das bedeutet, dass die hochwertigsten und am leichtesten zugänglichen Kohle-, Öl- und Gasvorkommen vorrangig erkundet und abgebaut wurden. Doch mit jedem Jahrzehnt, das verging, ging die Nettoenergie (im Vergleich zur Gesamtenergie), die aus der Gewinnung fossiler Brennstoffe gewonnen wurde, zurück, da die Energie-Unternehmen gezwungen waren, an ungünstigeren Orten nach Bodenschätzen zu suchen und auf minderwertigere Ressourcen zurückzugreifen. In den Anfängen der US-Ölindustrie war beispielsweise ein EROEI von 100:1 üblich, während man heute davon ausgeht, dass sich die Explorationsanstrengungen der Ölindustrie in den USA einem EROEI von 1:1 nähern.«

Richard Heinberg weist in diesem Zitat auf die historisch einmalige Situation hin, die mit der Nutzung fossiler Energieträger einsetzte. In vorindustriellen, agrarischen Gesellschaften war die Ausbeute an Nettoenergie relativ gering, was sich – wie von Heinberg auch beschrieben – in einem sehr hohen Anteil der Bevölkerung, der in der Landwirtschaft arbeitete, manifestierte. Erst der Einsatz von fossilen Energieträgern in großem Stil, die zu Beginn der »fossilen Ära« mit vergleichsweise geringem Aufwand zu gewinnen waren, ermöglichte die Industrialisierung und die fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen, die in etwa mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzten, zunächst in den USA und Europa und schließlich weltweit. In den letzten Jahrzehnten gibt es aber die Tendenz eines fallenden EROEI, einer fallenden Nettoenergieausbeute. Einerseits, weil es immer aufwändiger wird, die verbleibenden Lagerstätten fossiler Rohstoffe auszubeuten, und andererseits, weil die alternativen Energieträger und Energietechnologien, die die fossilen Energien ersetzen sollen, einen tendenziell niedrigeren EROEI aufweisen (dazu unten noch mehr).

Abb. 1 zeigt eine Übersicht über den Standard EROEI verschiedener Energieträger und Energieerzeugungstechnologien. In dieser Art der Darstellung, von Charles Hall und seinem Team entwickelt[19], ist der EROEI einer Energiequelle über deren Verbrauch aufgetragen. Die meisten Werte beziehen sich auf die Situation in den USA im Jahr 2005, für Erdöl sind aber auch historische Werte erfasst (»domestic oil 1930«, »domestic oil 1970«, »imported oil 1970«). Je weiter rechts eine Energiequelle liegt, desto größer ist ihre Bedeutung im Energiesystem, je weiter oben sie liegt, desto höher ist ihr EROEI. Durch die elliptische Darstellung wird veranschaulicht, wie hoch der Unsicherheitsbereich bei der Abschätzung des EROEI ist. Kohle liegt beispielsweise bei einem EROEI zwischen 50 und 80, Erdgas zwischen 10 und 20 oder Wasserkraft (»hydro«) zwischen 20 und 40. Für alle in der USA im Jahr 2005 genutzten Energiequellen (»U.S. All sources«) lag der geschätzte EROEI zwischen 25 und 45.

 


Abb. 1: Standard EROEI verschiedener Energieträger und Energietechnologien (USA 2005), siehe dazu auch die ausführliche Beschreibung im Text. Quelle: Heinberg (2009), S. 28, basierend auf Hall (2008).


Der Rückgang des EROEI im Lauf der Zeit für Erdöl, das in den USA gefördert wurde, ist klar erkennbar. Während dieser 1930 noch bei rund 100 lag (»domestic oil 1930«), fiel er 1970 auf 30 und lag 2005 im Mittel bei knapp über 10. Auch für importiertes Erdöl fiel der EROEI, von etwa 30 im Jahr 1970 auf 20 im Jahr 2005. Am ganz linken Rand dieser Abbildung befinden sich die schmalen Ellipsen für Windenergie und Photovoltaik. Im Jahr 2005 standen diese Energieerzeugungstechnologien erst am Anfang des Ausbaus, mittlerweile haben diese deutlich an Bedeutung gewonnen und sind nach rechts gerückt, haben in etwa mit der Wasserkraft aufgeschlossen. Der (Standard) EROEI für Windenergie liegt gemäß dieser Darstellung zwischen 15 und 25, für Photovoltaik zwischen 5 und 10 (zur Bandbreite des EROEI für Photovoltaik und Windkraft folgt unten noch eine ausführlichere Diskussion). In der linken unteren Ecke befindet sich eine flache Ellipse, beschriftet mit »biofuels, tar sands« (Bio-/Agrotreibstoffe, Ölsande). Mit einem EROEI von knapp über 1 sind Biotreibstoffe und Ölsande weit abgeschlagen die Schlusslichter im EROEI-Ranking.

Der schattierte Streifen im unteren Bereich stellt den geschätzten Mindest-EROEI dar, der erforderlich ist, um eine moderne Industriegesellschaft aufrechtzuerhalten (»minimum EROEI required«). Richard Heinberg vermutet, dass dieser Wert bei etwa 10 liegen könnte (bezogen auf den Standard EROEI). Wenn man von diesem Wert von 10 für den Mindest-EROEI ausgeht, dann würde Photovoltaik unter dieser Schwelle liegen, Biotreibstoffe und Ölsande sogar weit darunter. Die Kernenergie mit einem EROEI von 10 im Mittel ist in dieser Darstellung genau an dieser Grenze lokalisiert.

Der EROEI-Wert von 10 ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Erstens, weil dieser im Bereich des Mindest-EROEIs für eine moderne Industriegesellschaft liegen könnte, zweitens, weil es unterhalb dieses Werts mit der Nettoenergieausbeute rasch bergab geht. Dieser rasche Abfall des Nettoenergieanteils unter einem Wert von 10 wird sehr anschaulich in der Darstellung der sogenannten »Net Energy Cliff« (»Nettoenergie-Klippe«), welche Abb. 2 zeigt.

 


Abb. 2: Die »Nettoenergie-Klippe« (»Net Energy Cliff«), Nettoenergie-Anteil in Abhängigkeit des EROEI (die prozentualen Anteile sind auf den Energie-Output bezogen), Hellgrauer Bereich oben: Energie, die benötigt wird, um Energie bereitzustellen; dunkelgrauer Bereich unten: für Gesellschaft nutzbare Nettoenergie. Quelle: Lambert et al. (2014), S. 154


In dieser Darstellung ist der Anteil der Nettoenergie in Abhängigkeit des EROEI aufgetragen, wobei der EROEI von links nach rechts abnimmt. Die hellere Fläche oberhalb dieser Kurve zeigt den Anteil des Energie-Inputs bei einem bestimmten EROEI, die dunkle Fläche unterhalb der Kurve den Anteil der Nettoenergie, der bei einem bestimmten EROEI resultiert, wobei die prozentualen Werte immer auf den Energie-Output bezogen sind. Bei einem EROEI von 50 beispielsweise (in der Abbildung ganz links) beträgt der Energie-Input 2 Prozent und der Nettoenergieanteil 98 Prozent, bezogen auf den Energie-Output. Bei einem EROEI von 10 wächst der Energie-Input auf 10 %, während die Nettoenergieausbeute auf 90 % absinkt. Bei einem EROEI von 4 ist der Energie-Input bereits auf 25 % angewachsen, der Nettoenergieanteil auf 75 % geschrumpft, während bei einem EROEI von 1 der Anteil der Nettoenergie auf Null kollabiert ist.

Von links nach rechts gesehen verläuft diese Kurve zunächst sehr flach, ab einem Wert von 10 allerdings nähern wir uns der »Nettoenergie-Klippe«, von da an geht es steil nach unten, bis die Kurve bei einem EROEI von 1 schließlich den Wert Null für den Nettoenergieanteil erreicht. Sinkt der EROEI beispielsweise von 50 auf 20, klingt das zwar nach einem starken Abfall, die Auswirkungen auf den Energie-Input und den Nettoenergieanteil sind aber noch gering – der (zum Energie-Output relative) Anteil des Energie-Inputs steigt dann von 2 auf 5 %, der Nettoenergieanteil sinkt von 98 auf 95 %. Sinkt der EROEI aber von 10 auf 2, verfünffacht sich der Energie-Input von 10 auf 50 % und der Nettoenergieanteil sinkt von 90 auf 50 %. Der rasche Abfall der Kurve unterhalb einem EROEI von 10 wird im symbolischen Begriff der »Nettoenergie-Klippe« ausgedrückt.

In der obigen Abbildung sind auch Bandbreiten der EROEI-Werte für einige Energiequellen bzw. -technologien eingezeichnet (z.B. »Historic Oil and Gas Fields«, »Photovoltaic Energy« etc.). An den relativ hohen Werten lässt sich erkennen, dass es sich dabei um den Standard EROEI handelt. Würde es stattdessen der Final EROEI oder der Extended EROEI sein, würde die Abbildung im Prinzip gleichbleiben, aber die eingezeichneten Bereiche für die einzelnen Energiequellen bzw. -technologien würden sich nach rechts (in Richtung niedrigerer EROEI-Werte) verschieben. Beziehungsweise bedeutet die Verwendung des Standard EROEI, dass ein Teil des Nettoenergieanteils eigentlich noch im Energiebereitstellungssystem verschwindet, also gar keine »echte« Nettoenergie ist. Das bedeutet, dass (bei Verwendung des Standard EROEI, wie in obiger Abbildung) der »wahre« Nettoenergieanteil, also jener Anteil der Nettoenergie, der tatsächlich für gesellschaftlich nutzbringende Anwendungen außerhalb des Energiebereitstellungssystems zur Verfügung steht, entsprechend geringer ausfällt.



[1] Raugei et al. (2017). Ein insgesamt 22-köpfiges Team (3 Wissenschaftlerinnen, 19 Wissenschaftler) bildet die Autorenschaft dieses Artikels. Die Autoren sind insgesamt 23 verschiedenen Institutionen zugeordnet (drei Autoren sind zwei Institutionen zugeordnet).

[2] Ferroni/Hopkirk (2016)

[3] Ferroni et al. (2017)

[4] Moriarty/Honnery (2020)

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Erntefaktor (abgerufen am 4.3.2025)

[6] In sprachlicher Hinsicht lehnt sich der Begriff des EROEI an jenen des ROI (»Return on Investment«, also die Kapitalrendite) aus der Betriebswirtschaft an.

[7] Die Beschreibung dieses Fallbeispiels ist ebenfalls aus Moriarty/Honnery (2020) entnommen.

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Erntefaktor#Energetische_Amortisationszeit (abgerufen am 5.3.2025)

[9] Aber auch bei der Bestimmung des Energie-Outputs kann es zu nicht unerheblichen Unterschieden kommen, beispielsweise hinsichtlich der verwendeten Annahmen für die durchschnittliche Lebensdauer oder die durchschnittliche Volllaststundenzahl einer Anlage.

[10] De Castro/Capellán-Pérez (2020), Capellán-Pérez et al. (2019). De Castro und Capellán-Pérez wie auch andere Autoren (wie Charles Hall oder David Murphy) verwenden statt EROEI die Bezeichnung EROI. Entsprechend findet man in ihren Publikationen auch die Bezeichnungen Standard EROI, Point of Use EROI, etc. In diesem Kapitel wird aber einheitlich immer die Bezeichnung EROEI verwendet, womit auch die Originalbezeichnungen von de Castro und Capellán-Pérez entsprechend angepasst sind.

[11] Murphy et al. (2011), Hall et al. (2014)

[12] Wenn im Folgenden der Begriff »EROEI« ohne nähere Spezifikation erwähnt wird, ist damit der Standard EROEI gemeint.

[13] De Castro/Capellán-Pérez (2020)

[14] Diese Definition des Extended EROEI basiert auf De Castro/Capellán-Pérez (2020). De Castro und Capellán-Pérez rechnen auch »energy required for exploration, investment, communication, labor«, also Energie für die Auffindung von Produktionsstandorten und Lagerstätten, für Investitionen, Kommunikation und Arbeitskräfte den indirekten Energie-Inputs zu, wobei die Frage ist, inwieweit diese Inputs nicht bereits teilweise in den direkten Energie-Inputs enthalten sind. Dies ist unter dem methodischen Anspruch, Doppelzählungen zu vermeiden, relevant, worauf etwa Raugei et al. (2017) hinweisen.

[15] Hall et al. (2009)

[16] ebd., S. 45

[17] ebd.

[18] Heinberg (2009), S. 24f., Übersetzung und Hervorhebung durch den Autor

[19] Hall (2008). Die verwendete Darstellung hier stammt aus Heinberg (2009) und ist im Vergleich zur Originaldarstellung von Charles Hall etwas modifiziert. Eine Quadrillion Btu (British thermal Unit) entspricht 293 TWh; http://www.aweo.org/windunits.html, abgerufen am 8.7.2025

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