Samstag, 1. März 2025

Gibt es eine "optimale" Bevölkerungsgröße?

Ernst Schriefl

Der Text stammt aus meinem Buch „Öko-Bilanz. Ein Versuch einer nüchternen Bestandsaufnahme“ (Books on Demand) und bildet den Abschluss des Kapitels „Bevölkerung - das Wachstum geht weiter. Genug für die Bedürfnisse aller?“.

 

Mit einem bemerkenswerten Gedankenexperiment hat sich Alan Weisman in seinem bemerkens- und empfehlenswerten Buch „Countdown: Hat die Erde eine Zukunft?“ beschäftigt[1]: Was wäre, wenn in allen Ländern weltweit ab sofort eine Ein-Kind-Politik verfolgt würde? Er beauftragte mit der Beantwortung dieser Frage das renommierte Vienna Institute of Demography (der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zugeordnet). Die Antwort auf Weismans Frage lautete, dass (unter der von Weisman vorgeschlagenen Bedingung) die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 auf den Wert von 1,6 Mrd. Menschen abfallen würde[2].

Eine Weltbevölkerung von 1,6 Milliarden Menschen – das könnte im Bereich einer „optimalen“ Populationsgröße der Spezies Homo sapiens auf unserem Heimatplaneten liegen. Mit der Frage einer optimalen Bevölkerungsgröße haben sich in einem 1994 erschienenen Diskussions-beitrag Gretchen Daily und Anne und Paul Ehrlich beschäftigt[3] – und sie kamen zum Schluss, dass ein optimaler Bereich für die Größe der Weltbevölkerung zwischen 1,5 und 2 Mrd. Menschen liegen könnte.

Wie kamen sie zu dieser Schlussfolgerung? Ausgangspunkt war der weltweite Energieverbrauch Anfang der 1990er-Jahre, welcher 13 Terawatt betrug, und die Annahme, dass dieser bereits damals ein nachhaltiges Niveau überschritten habe. (Genau genommen bezieht sich die Einheit Terawatt im physikalischen Sinn auf Leistung und nicht auf Energie(verbrauch)[4]). Der nächste Schritt bestand in der Abschätzung eines ökologisch nachhaltigen Niveaus des weltweiten Energieverbrauchs, den die Autoren zunächst mit 9 Terawatt und dann unter Einbeziehung einer Sicherheitsmarge schließlich mit 6 Terawatt annahmen. Dann wurde ein vertretbares Energieverbrauchsniveau pro Kopf gesucht – dieses lag Anfang der 1990er-Jahre bei 12 Kilowatt in den USA und bei etwa einem Kilowatt in ärmeren Ländern. Unter der Annahme, dass den Bewohnern ärmerer Länder noch etwas Verbrauchssteigerung zugestanden wird und die Bewohner reicherer Länder durch Effizienz- und Suffizienz-Maßnahmen den Verbrauch reduzieren müssten, wurde dieser Pro-Kopf Energieverbrauch zunächst mit 3 Kilowatt festgelegt. Die Division des weltweit ökologisch vertretbaren Energieverbrauchsniveaus (6 Terawatt) durch das zugestandene Energieverbrauchsniveau pro Kopf (3 Kilowatt) ergibt eine Bevölkerungsgröße von 2 Milliarden Menschen. Wäre man etwas großzügiger und würde jedem Erdenbewohner einen Energieverbrauch von 4 Kilowatt zugestehen, würde das eine Bevölkerungsgröße von 1,5 Milliarden Menschen ergeben.

Auch wenn man den ökologischen Fußabdruck als Bezugsgröße heranzieht, kann man mit einfachen Berechnungen und Abschätzungen auf ein ähnliches Niveau einer optimalen beziehungsweise ökologisch und sozial vertretbaren Bevölkerungsgröße kommen. Gehen wir zu diesem Zweck vom momentanen Status aus, wie er in der Presseaussendung anläßlich des Welterschöpfungstags 2019 (am 29. Juli 2019) beschrieben wurde[5]:

„Insgesamt bietet die Erde etwa 12,2 Milliarden Hektar bioproduktiver Fläche. Der rechnerische Anteil für jede Person beträgt demnach etwa 1,7 Globale Hektar (gha). Der/die durchschnittliche ÖsterreicherIn beansprucht dem gegenüber derzeit etwa 6,0 gha. Würden alle ErdenbürgerInnen auf ähnlich großem Fuß leben wie wir in Österreich, wären über drei Planeten nötig, beim US-amerikanischen Lebensstil fast fünf.“

Nun gehen wir methodisch ähnlich vor wie oben beschrieben. Wieviel bioproduktive Fläche wollen wir der Menschheit zugestehen? Unter der Annahme, dass auch für die nicht vom Menschen genutzte und beeinflusste Natur, die wir auch als Wildnis bezeichnen könnten, Platz sein soll, könnten wir die für die Menschen zur Verfügung stehende bioproduktive Fläche mit 8 Milliarden Hektar festlegen.

Wie hoch darf oder soll nun der ökologische Fußabdruck pro Kopf sein? Wieder unter der Annahme, dass dieser höher sein darf als in den ärmeren Ländern, aber niedriger sein soll als in den reicheren Ländern, könnten wir ihn mit 4 Globalen Hektar festlegen (das wäre mehr als 30 Prozent unter dem momentanen österreichischen Niveau und mehr als 50 Prozent unter dem US-amerikanischen Niveau). Eine Division der maximal verfügbaren biopoduktiven Fläche durch die bioproduktive Fläche pro Kopf ergibt unter diesen Annahmen eine optimale / vertretbare Bevölkerungsgröße von 2 Milliarden Menschen. Wollten wir der Wildnis mehr Platz einräumen und die der Menschheit zur Verfügung stehende bioproduktive Fläche mit 6 Milliarden Hektar beschränken, wären wir bei einer Bevölkerungsgröße von 1,5 Milliarden Menschen.

Die Aussage „Würden alle so leben wir wir, bräuchten wir drei Erden“ könnte man also auch umdrehen: „Würde die Zahl der Erdbewohner auf ein Drittel des heutigen Niveaus schrumpfen, dann würde sich unser Lebensstil ja ausgehen, dann könnten alle so leben wie wir. Und wäre die Weltbevölkerung auf ein Viertel geschrumpft, dann könnte sogar noch etwas Regenerationsraum für die nicht vom Menschen unmittelbar genutzte Natur übrigbleiben und wir könnten trotzdem unseren Lebensstil beibehalten.“ Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht versuchen sollten, unseren ökologischen Fußabdruck durch technische Maßnahmen und Verhaltensänderungen zu senken, aber es zeigt, dass auch eine andere Perspektive möglich ist.

Wie hoch nun tatsächlich eine „optimale“ Bevölkerungszahl ist, darüber mag man trefflich streiten. Außer Streit dürfte aber stehen, dass sich alle ökologischen Parameter bei einem Schrumpfen der Bevölkerung ins Positive ändern würden (es sei denn, es würde mit dem Schrumpfen der Bevölkerung das Verbrauchsniveau pro Kopf überproportional steigen – eine Stagnation oder Begrenzung des Steigens von Verbrauchsniveaus wäre aber durch politische Maßnahmen sicher leichter durchsetzbar als ein Schrumpfen der Verbrauchsniveaus).

Zusammenfassend möchte ich zum Thema Bevölkerung festhalten:

Wenn wir tatsächlich die nach wie vor dominierenden Trends der Nicht-Nachhaltigkeit umdrehen wollen, dann geht das nur oder zumindest ungleich leichter bei einer schrumpfenden Weltbevölkerung, die sich etwa auf einen optimalen (beziehungsweise ökologisch und sozial vertretbaren) Wert zwischen ein und zwei Milliarden Menschen einpendeln könnte.

Zurückkommend auf den Untertitel des Buchs „Empty Planet“ –  „The Shock of Global Population Decline“: Nein, ein globaler Bevölkerungsrückgang ist kein Schock – im Gegenteil, er wäre höchst heilsam. Es würden Flächen frei, auf denen sich „die Natur“, die Ökosphäre wieder regenerieren könnte. Es müsste nicht auf Teufel komm raus Höchstleistungslandwirtschaft betrieben werden – diese hat nämlich nicht, wie das in einer vereinfachten Sicht gerne behauptet wird, mit der Gier der Landwirte oder der bösen Agrarkonzerne zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit der Notwendigkeit, eine wachsende Zahl an Menschen zu versorgen, von denen zudem mehr und mehr in die globale Mittelschicht aufsteigen, was in der Regel mit einer Änderung der Ernährungsgewohnheiten in Richtung mehr Konsum von tierischen Produkten einhergeht.

Es gäbe Platz für Aufforstungen, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen – dies wäre angesichts einer schon jetzt zu hohen atmosphärischen CO2-Konzentration höchst dringend. Fossile Rohstoffe könnten leichter durch biogene ersetzt werden (Stichwort Bio-Ökonomie), ohne dadurch den Druck auf die Ökosphäre zu erhöhen. Es wäre deutlich leichter, allen Menschen ein menschenwürdiges Leben und damit auch ein Mindestmaß an materiellem Wohlstand zu bieten. Es müsste nicht mehr auf Teufel komm raus ständig neuer Wohnraum geschaffen werden, mit der Zeit wäre ein Überangebot an Wohnraum vorhanden und Wohnungen wären günstig verfügbar. Man hätte das Gefühl, wieder mehr Platz zu haben, der Dichtestress in den Städten würde zurückgehen. Kriege und Konflikte um Ressourcen würden zurückgehen.

Und … man mag sich noch weitere positive Wirkungen einer schrumpfenden Bevölkerung ausdenken.

Natürlich ist mit dem Schrumpfen der Weltbevölkerung letztlich auch ein Schrumpfen der Wirtschaft verbunden. Es sei denn, der Bevölkerungsrückgang würde durch ein materielles Wachstum pro Kopf kompensiert, was zumindest in ärmeren Regionen sogar erwünscht ist, aber aus ökologischen Gründen auch nur begrenzt möglich und sinnvoll ist. Aber – wie auch immer das wirklich gehen könnte – von einer zwanghaft wachsenden Wirtschaft müssen wir ohnehin wegkommen, wollen wir noch längerfristig auf diesem Planeten bleiben.


Literatur

Daily Gretchen C., Ehrlich Anne H., Ehrlich Paul R. (1994): Optimum human population size. Population and Environment, Volume 15, No. 6, S. 469–475, https://mahb.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/03/1994_DailyGCEhrlichs-Optimum-Population.pdf (abgerufen am 1.3.2025)

Weisman Alan (2014): Countdown: Hat die Erde eine Zukunft?, Piper Taschenbuch (Originalausgabe: Weisman Alan (2013): Countdown: Our Last Best Hope for a Future on Earth?, Little, Brown and Company, New York)



[1] Weisman (2014)

[2] Das Buch „Countdown“ erschien im Original 2013 (deutsche Übersetzung 2014; siehe Weisman (2014)) und Alan Weisman hat diese Frage vermutlich 2012 gestellt. Wenn erst ab jetzt (2021) mit einer globalen Ein-Kind-Politik begonnen würde, wäre die Weltbevölkerung im Jahr 2100 bereits entsprechend höher bzw. würde der Wert von 1,6 Mrd. Menschen erst einige Jahre später erreicht werden. Siehe auch: Alan Weisman "Countdown", https://www.youtube.com/watch?v=VPUPcEyzUW4 (abgerufen am 26.12.2020)

[3] Daily et al. (1994); siehe auch News Release der Stanford University vom 11.7.1994: „Optimum human population a third of present, scientists say“, https://news.stanford.edu/pr/94/940711Arc4189.html (abgerufen am 26.12.2020)

[4] Technisch gesehen steht die Einheit Terawatt (auch Kilowatt) nicht für Energie, sondern für Leistung. Leistung ist Energie pro Zeit, Energie ist Leistung mal Zeit. Ein Gerät mit einer Leistung von 1 Kilowatt (kW), welches konstant eine Stunde lang in Betrieb ist, verursacht in diesem Zeitraum einen Energieverbrauch von einer Kilowattstunde (kWh). Die erwähnten 13 Terawatt bedeuten eine durchschnittliche Leistung, bezogen auf den damaligen Welt-Energieverbrauch. Das grundsätzliche Argument bleibt aber von dieser nicht ganz präzisen Art der Darstellung unberührt.

[5] Presseaussendung der Plattform Footprint, WWF, GLOBAL 2000, Greenpeace vom 26.7.2019: „Die Erde am Limit: 29. Juli ist Welterschöpfungstag“

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