Sonntag, 2. März 2025

Die Entwicklung der Weltbevölkerung bis 2100 – was sagen die UN-Szenarien?

Ernst Schriefl

Der Text stammt aus meinem Buch „Öko-Bilanz. Ein Versuch einer nüchternen Bestandsaufnahme“ (Books on Demand) und ist der erste Teil des Kapitels „Bevölkerung - das Wachstum geht weiter. Genug für die Bedürfnisse aller?“. Dieses Kapitel entstand in einer ersten Version bereits im November und Dezember 2019. Es sind also die hier verwendeten Zahlen nicht mehr ganz aktuell, im wesentlichen sind aber die Kernaussagen noch gültig.


Von Mahatma Gandhi stammt das Zitat „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“[1] Dieses berühmte Zitat wird auch in der Nachhaltigkeits-Szene gern verwendet, beschwört es doch ein romantisches, einfaches Bild der Nachhaltigkeit. Doch gibt es ein realistisches Bild wieder?

1950, also zwei Jahre nach Gandhis Tod, lebten etwa 2,52 Mrd. Menschen auf der Erde[2], im Mai 2020 waren es bereits etwa 7,8 Milliarden[3]. In nur 70 Jahren hat sich also die Weltbevölkerung mehr als verdreifacht. Nehmen wir an, zu Gandhis Zeiten hätte seine berühmte Aussage gerade noch gestimmt. Stimmt sie aber auch noch in einer Welt, in der dreimal so viele Menschen leben? Und auch in einer Welt, in der in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht 9, 10 oder 11 Milliarden Menschen leben werden?

Und was heißt eigentlich „jedermanns Bedürfnisse“? Wenn man beobachtet, wie sich „Bedürfnisse“, also das, was als gesellschaftlich legitimierter materieller Mindest- oder Durchschnittsstandard gesehen wird, verändert haben, ist klar, dass sich diese mit dem technologischen Entwicklungsstand einer Gesellschaft rasch mitverändern. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele (von denen hier nur einzelne herausgegriffen sind): Während vor 50 Jahren Computer noch unerschwinglich waren, ist es heute selbstverständlich, dass sich jeder (oder fast jeder, zumindest in weiten Teilen der Welt) zumindest einen Laptop-Computer leisten kann, und einen zu besitzen, gilt nicht als Ausdruck besonderer Gier. Als Michail Gorbatschow 1987 während einer Pressekonferenz ein „Mobira Cityman 900“ benutzte – eines der ersten Mobiltelefone, das diesen Namen auch verdiente – erregte das noch Aufsehen[4]. Heute sind Mobiltelefone beziehungsweise deren Nachfolger, die Smartphones, zu den selbstverständlichsten Alltagsgegenständen überhaupt geworden, und das praktisch weltweit, also auch in den nicht so begüterten Weltregionen.

Wenn wir den materiellen Lebensstandard eines Europäers der unteren Mittelschicht, also einer Person, die in ihrer Gesellschaft nicht als reich und schon gar nicht als gierig gilt, die möglicherweise sogar nach dem Maßstab ihrer Gesellschaft als arm eingestuft wird, aber nicht von drückender Armut betroffen ist und deren materielle Grundbedürfnisse abgesichert sind, als Maßstab heranziehen – lässt sich dieser Lebensstandard wirklich so einfach auf 7,8 Mrd. Menschen übertragen, oder gar auf 9, 10 oder 11 Milliarden?

Möglicherweise noch vom Gandhi-Zitat inspiriert – bewusst oder unbewusst – wird von hiesigen Umweltorganisationen die Bedeutung des Bevölkerungswachstums für die globale ökologische, soziale und politische Belastung oft heruntergespielt. Ein Beispiel dafür findet sich in einer E-Mailaussendung der „Plattform Footprint“ in der Vorbereitung auf den „Earth Overshoot Day 2018“[5]:

„Interessant ist, dass sich – meinem Eindruck nach – zunehmend Organisationen stärker ins Bild setzen, die ihren Fokus auf Kritik am Bevölkerungswachstum setzen. Letzteres bleibt zwar eine mittelfristige Herausforderung, ist in der aktuellen Debatte (Paris Ziele, 2050 „goals“ etc.) aber nur für einige wenige Schwellen-Länder von Bedeutung, die am globalen Overshoot allerdings sehr geringen Anteil haben. Dieser Fokus verschleiert die grundsätzliche Debatte über den zukunftsunfähigen Lebensstil in den reichen Ländern und Gesellschaftsschichten – und ist wohl auch so gewollt.“

Der sicher berechtigte Befund eines „zukunftsunfähigen Lebensstil in den reichen Ländern und Gesellschaftsschichten“ wird in der Nachhaltigkeits-Szene gerne mit dem Narrativ des „armen, ausgebeuteten Südens“ ergänzt, der damit in eine Opferrolle gedrängt wird und für seine Misere nicht oder fast nicht mitverantwortlich sei – dazu ein Zitat aus der Aussendung zum Welterschöpfungstag 2017[6]: „Besonders vom Overshoot betroffen sind die Länder des Südens, die meist am wenigsten dazu beitragen. Ihnen fehlen die finanziellen Mittel, um die fehlenden Ressourcen und Naturleistungen zukaufen zu können. „Unsere Freiheit, einen ressourcenintensiven Lebensstil auf Kosten des Planeten zu wählen, endet dort, wo sie die Freiheit anderer Erdenbürger beschneidet, ein menschenwürdiges Leben zu leben – oder überhaupt zu überleben!“ sollte die goldene Regel global neu formuliert werden.“

Könnte man aber nicht dem Stehsatz „Unser Lebensstil geht sich nicht aus.“ mit mindestens genau so großer Berechtigung die Aussage „Euer Reproduktionsstil geht sich nicht aus.“ hinzufügen? Meine grundlegende These dazu ist, dass in jenen Ländern, die von hohen Geburtenraten und hohem Bevölkerungswachstum geprägt sind, diese Phänomene deren größtes strukturelles Problem sind und es dort keine Aussicht auf eine spürbare Verbesserung der Verhältnisse gibt, solange sich das nicht ändert. Die sogenannten „Armen“ sind eben nicht nur arme, hilflose Opfer, sie sind genauso Mittäter – auch wenn sie sich dessen möglicherweise nicht bewusst sind.

Nähern wir uns dem vielschichtigen Thema der Bevölkerungsentwicklung mit einer kurzen Übersicht der Faktenlage. Während mehr als 99 Prozent der Menschheitsgeschichte wuchs die Größe der menschlichen Bevölkerung zwar, aber sie wuchs vergleichsweise sehr langsam. In vormodernen agrarischen Gesellschaften standen hohen Geburtenraten hohe Sterberaten gegenüber. Von den zahlreichen Kindern, die im Schnitt eine Frau gebar, erreichten nur wenige das Erwachsenenalter, die Lebenserwartung war insgesamt deutlich niedriger. Das war bis weit ins 18. Jahrhundert so. Erst im 19. Jahrhundert, und dann noch ausgeprägter im 20. Jahrhundert begannen sich die Verhältnisse deutlich zu verändern und es erfolgte ein „Take-Off“ der Weltbevölkerung mit bislang ungekannten Zuwächsen. Ein Zustand, der, wenn auch leicht gebremst, noch immer andauert.

Es dauerte fast die ganze Menschheitsgeschichte, nämlich bis ins Jahr 1804, bis die Weltbevölkerung auf eine Milliarde Menschen anwuchs. Für die zweite Milliarde brauchte es dann nur mehr etwas mehr als ein Jahrhundert, 1927 wurde dieser Wert erreicht. Danach ging es Schlag auf Schlag, der Zeitraum bis zur nächsten Milliarde wurde immer kürzer[7]:

1960 (nach 33 Jahren): 3 Milliarden

1974 (nach 14 Jahren): 4 Milliarden 

1987 (nach 13 Jahren): 5 Milliarden

1999 (nach 12 Jahren): 6 Milliarden

2011 (nach 12 Jahren): 7 Milliarden

2022 (nach 11 Jahren): 8 Milliarden.

Seit dem Erreichen der 7 Milliarden-Marke im Jahr 2011 betrug das Wachstum der Weltbevölkerung pro Jahr etwa 90 Millionen Menschen. Um sich diese Zahl vorstellen zu können, hilft es, sie in Beziehung zu bekannten Größen zu setzen: Das jährliche Wachstum der Weltbevölkerung entspricht etwa 10-mal der Bevölkerungszahl Österreichs (9,2 Mio. Einwohner) oder einmal der Deutschlands (84,7 Mio. Einwohner). Salopp formuliert, werden also pro Jahr zehn Österreichs oder ein Deutschland zur Welt hinzugefügt, zumindest auf die Bevölkerungszahl bezogen.

Das Wachstum der Bevölkerung findet hauptsächlich in Entwicklungs- und Schwellenländern statt: in Teilen Südostasiens (Indien, Pakistan, Bangladesch, Indonesien), in der gesamten arabisch-muslimischen Welt (Naher Osten, Nordafrika) sowie in Subsahara-Afrika. In weiten Teilen der übrigen Welt (Europa, Nordamerika, Russland, China, Australien, die entwickelteren Länder Asiens) findet nur mehr ein sehr gedämpftes Wachstum der Bevölkerung statt, in einigen Ländern schrumpft die Bevölkerung bereits (beispielsweise in Japan oder in vielen Staaten des ehemaligen Ostblocks). Dort, wo in den reicheren Teilen der Welt die Bevölkerung noch wächst, ist das vor allem der Zuwanderung geschuldet.

Wie könnte es nun weitergehen mit der Entwicklung der Weltbevölkerung? Wird das Wachstum zu einem Ende kommen und wenn ja, wann? Die Welt befindet sich auch diesbezüglich in einem Prozess eines starken Wandels. In den letzten Jahrzehnten sind in vielen Ländern die Geburtenraten rasch und deutlich gesunken. In weiten Teilen der Welt sind die Geburtenraten bereits unter das „population replacement level“[8] von 2,1 Kindern pro Frau gefallen. Das ist jenes Niveau, das eine langfristig stabile Bevökerungszahl garantiert – beziehungsweise beginnt die Bevölkerung zu schrumpfen, wenn dieses Niveau längere Zeit unterschritten wird, es sei denn, die Schrumpfung wird durch Zuwanderung ausgeglichen.

Eine Analyse der im CIA Factbook 2016 veröffentlichten Daten zu Fertilitätsraten[9] zeigt, dass in 102 Ländern die Fertilitätsrate über 2,1 lag, während diese in 99 Ländern unter 2,1 lag[10]. Der Weltdurchschnitt lag 2016 bei 2,41 Geburten pro Frau. Ein Blick auf die Top 50 (d.h. die 50 Länder mit den höchsten Fertilitätsraten) zeigt rasch, wo die größten Problemzonen eines ausufernden Bevölkerungswachstums liegen: in Subsahara-Afrika und in weiten Teilen der muslimischen Welt, wobei es hier eine Schnittmenge gibt (ein Teil der Länder in Subsahara-Afrika hat eine muslimische Bevölkerungsmehrheit und einige Länder sind diesbezüglich an der Kippe, das heißt, hier sind Muslime daran oder knapp davor, die Bevölkerungsmehrheit zu erreichen).

Unter diesen Top 50 Ländern liegen 41 Länder in Subsahara-Afrika, 6 Länder in der muslimischen Welt außerhalb Sübsahara-Afrikas (Afghanistan, Irak, Palästina, Jemen, Ägypten, Jordanien), nur drei Länder sind nicht diesen Regionen zuzuordnen (es handelt sich dabei um die relativ kleinen Inselstaaten Osttimor, Salomonen und Tonga, welche in Summe von weniger als 2 Mio. Menschen bewohnt werden). Angeführt wird diese Rangliste von Niger (liegt in Subsahara-Afrika und ist muslimisch dominiert) mit einer Fertilitätsrate von 6,62, am anderen Ende der Skala liegt Singapur mit einer Fertilitätsrate von 0,82.

Es gibt Länder, in denen bereits ein sehr rascher demographischer Übergang[11] stattgefunden hat, in anderen Ländern hingegen geht dieser Prozess nur sehr langsam und zäh vonstatten. So lag beispielsweise in Taiwan Anfang der 1950er-Jahre die Fertilitätsrate noch bei 6,72 und ist mittlerweile auf 1,11 gefallen. In Afghanistan hingegen ist dieser Wert von 7,45 Anfang der 1950er-Jahre erst auf 5,26 gefallen und damit nach wie vor auf einem sehr hohen Niveau[12].

Ist es einer zufälligen Koinzidenz geschuldet, dass viele permanente Krisenherde wie Afghanistan, Irak, Jemen oder Palästina auch gleichzeitig Länder mit sehr hohen Geburtsraten und hohem Bevölkerungswachstum sind? Ich denke (und bin damit nicht der einzige), dass hier sehr wohl ein Zusammenhang besteht. In all diesen Ländern gibt es eine sehr große junge Bevölkerung mit geringen Perspektiven (einen sogenannten „youth bulge“[13]), welche für Fundamentalismen aller Art leicht anfällig ist und sich vermutlich auch für beliebige Milizen leicht rekrutieren lässt. Der Teufelskreis der Unterentwicklung und Perspektivlosigkeit wird durch eine nach wie vor hohe Geburtenrate ständig befeuert.

Die Population Division im Department of Economic and Social Affairs der United Nations (UN) veröffentlicht regelmäßig Szenarien über die zukünftige Entwicklung der Weltbevölkerung, zuletzt die „World Population Prospects 2019“[14]. Diesen Szenarien, welche bis zum Jahr 2100 reichen, liegen regional und nach Ländern differenzierte Annahmen über Fertilitätsraten, Lebenserwartung und Wanderungsbewegungen zugrunde. Die mittlere Variante der UN-Szenarien kommt zum Ergebnis, dass bis zum Jahr 2100 die Weltbevölkerung auf 10,9 Milliarden Menschen anwachsen könnte[15].

Die Hot-Spots der Bevölkerungszunahme liegen in den Regionen Sub-Sahara Afrika, Nordafrika und Westasien, Zentral- und Südasien. In vielen anderen Regionen (Europa, östliches und südöstliches Asien) sinkt die Bevölkerung oder erreicht nach einem temporären weiteren Wachstum im Jahr 2100 wieder in etwa das momentane Niveau (wie in Lateinamerika). Die einzigen Regionen, die den OECD-Ländern zugeordnet sind und für die ein nennenswertes Bevölkerungswachstum prognostiziert wird, sind Nordamerika (USA, Kanada) und Australien. Hier ist aber das Wachstum in erster Linie der Zuwanderung geschuldet[16]. Indien überholt China bereits 2030 oder früher und wird dann das bevölkerungsreichste Land der Welt. Aber auch in Indien findet gemäß dem mittleren UN-Szenario ein merkbarer demographischer Übergang statt, die Bevölkerungszahl erreicht um 2060 einen Höhepunkt und sinkt bis 2100 wieder auf das Niveau von etwa 2025[17].

Neben der Beschreibung des mittleren Szenarios gibt die Population Division der UN auch eine Bandbreite der zukünftigen Bevölkerungs dentwicklung an. Gemäß den Annahmen der UN wird die Weltbevölkerung im Jahr 2100 mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent zwischen 9,4 Mrd. Menschen („unteres Szenario“) und 12,7 Mrd. Menschen („oberes Szenario“) liegen. Während im oberen Szenario das Wachstum der Weltbevölkerung nur mäßig gedämpft voranschreitet, ist im unteren Szenario bereits eine Trendumkehr zu beobachten: In diesem Szenario erreicht die Weltbevölkerung etwa 2070 ein Maximum bei 9,74 Mrd. Menschen und beginnt von da an zu schrumpfen, um 2100 einen Wert von 9,42 Mrd. Menschen zu erreichen.

Besonders dramatisch ist in allen UN-Szenarien die Bevölkerungs-zunahme in Subsahara-Afrika. Selbst im unteren UN-Szenario verdrei-facht sich dort in etwa die Bevölkerung bis 2100 (von 1,07 Mrd. auf 2,97 Mrd. Menschen). Im mittleren Szenario erreicht die Bevölkerung Subsahara-Afrikas im Jahr 2100 eine Größe von 3,78 Mrd. Menschen, im oberen Szenario gar 4,78 Mrd. Menschen. Zum Vergleich: Im Jahr 1974 betrug die Größe der gesamten Weltbevölkerung 4 Mrd. Menschen.

Eine Verdrei- oder Vervierfachung der Bevölkerung in Subsahara-Afrika bis 2100 würde ich schlicht als katastrophal bezeichnen, dieser Umstand ist für mich nur als schier endloses humanitäres Desaster vorstellbar. Hinzu kommen noch die Auswirkungen des Klimawandels, die mit großer Wahrscheinlichkeit große Teile Afrikas besonders stark treffen werden. In diese humanitäre Katastrophe, die uns hier bevorsteht, wird aber auch Europa unweigerlich mithineingezogen (die nicht enden wollenden Berichte über Bootsflüchtlinge können als Vorboten dessen gesehen werden). Der Migrationsdruck auf Europa wird enorm, und die Frage ist, ob ein alterndes und ideologisch schwer gespaltenes Europa darauf in irgendeiner Weise adäquat reagieren kann oder einfach in den Strudel der Ereignisse hineingesogen wird.

Die Region, für die das zweitgrößte Bevölkerungswachstum prognostiziert wird, ist Nordafrika und Westasien. Diese Region ist weitgehend ident mit der arabisch-muslimischen Welt, reichend von Marokko im Nordwesten Afrikas bis zum Irak als östlichstem Staat dieser Region. Bis auf vier kleinere Länder (Armenien, Zypern, Georgien, Israel) sind alle Länder dieser Region mehrheitlich von Muslimen bewohnt. Im mittleren UN-Szenario wächst die Bevölkerung in dieser Region von 517 Mio. (2019) auf 928 Mio. Menschen im Jahr 2100. Dieses Wachstum von etwa 80 Prozent ist insofern als dramatisch zu werten, als diese Region ohnehin von Krisen, Kriegen und Instabilitäten gezeichnet ist, und ein weiteres Bevölkerungswachstum sicher nicht zur Entspannung der Lage beiträgt. Auch von dieser Region geht ein starker Migrationsdruck auf Europa aus.

Zentral- und Südasien ist die Region, für die der drittgrößte Bevölkerungszuwachs prognostiziert wird. Diese Region wird von Indien bevölkerungsmäßig dominiert (2019 lebten mit 1,36 Mrd. Menschen 69 Prozent aller Einwohner dieser Region in Indien). Ansonsten besteht diese 14 Länder umfassende Region überwiegend aus muslimischen Ländern (u.a. Pakistan, Bangladesch, Iran, Afghanistan), auch in Indien leben 195 Mio. Muslime[18] und stellen somit eine bedeutende Minderheit dar. Im mittleren UN-Szenario wird in dieser Region etwa 2060 das Bevölkerungsmaximum erreicht und 2100 sinkt die Bevölkerungszahl wieder auf den Wert von etwa 2035. Dies unterscheidet diese Region von den beiden anderen oben erwähnten Regionen - diese erreichen (zumindest gemäß dem mittleren UN-Szenario) kein Bevölkerungsmaximum vor dem Jahr 2100.

 

Es gibt auch Kritik an den UN-Szenarien zur globalen Bevölkerungsentwicklung. Diese würden von zu hohen Fertilitätsraten ausgehen und die Dynamik eines durch Urbanisierung getriebenen veränderten Reproduktionsverhaltens unterschätzen. Diese These wird beispielsweise in dem 2019 erschienenen Buch „Empty Planet. The Shock of Global Population Decline“ von den Kanadiern Darrell Bricker und John Ibbitson vertreten[19]. Ihre Prognose besagt, dass die Weltbevölkerung um die Mitte dieses Jahrhunderts ihr Maximum erreichen wird (bei einem Wert zwischen 8 und 9 Mrd. Menschen) und danach bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wieder auf in etwa das derzeitige Niveau (oder eventuell auch etwas darunter, auf ca. 7 Mrd. Menschen) absinken wird[20].

Eine Schlüsselrolle für diese Entwicklung spielt die Urbanisierung, die stets und auch in Entwicklungsländern immer mehr voranschreitet. Bricker und Ibbitson benennen vier Veränderungen, die mit der Urbanisierung in Entwicklungsländern einhergehen und zu einem raschen Sinken der Fertilitätsraten führen können: Kinder werden von nützlichen Arbeitskräften in der Landwirtschaft zu einer finanziellen Belastung in der Stadt; das Bildungsangebot und insbesondere das Bildungsniveau von Frauen steigt; der Einfluss von Religionen (die oft explizit oder implizit kinderreiche Familien befürworten und fördern) sinkt; der Einfluss von Familienclans (die ebenfalls Druck in Richtung früher Verheiratung und hoher Kinderzahlen ausüben können) sinkt[21].

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Jorgen Randers, der im Jahr 2012 mit seinem Buch „2052“ eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre (von 2012 bis 2052) vorgelegt hat[22]. Wie Bricker und Ibbitson geht auch er davon aus, dass rasch fortschreitende Urbanisierung und ein damit einhergehendes höheres Bildungsniveau von Frauen zu einem raschen Absinken der Geburtenraten weltweit führen wird. Gemäß Randers wäre dann bereits um das Jahr 2040 ein globales Bevölkerungsmaximum bei 8,1 Mrd. Menschen erreicht und 2075 würde die Weltbevölkerung wieder auf eine Zahl von 7 Mrd. Menschen abgesunken sein[23]. Die Prognose von Randers ist aber nach heutigem Stand bereits als überholt zu werten. So geht er für das Jahr 2025 von einer Bevölkerungszahl von 7,74 Mrd. Menschen[24] aus – ein Wert, der aber bereits 2020 überschritten wurde.

Wer wird nun Recht behalten? Die Population Division der UN mit ihren eher konservativen Annahmen, was die Entwicklung der Fertilitätsraten betrifft, oder Kritiker dieser Annahmen wie Bricker, Ibbitson und Randers? Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, hängt es vor allem von den Entwicklungen in Subsahara-Afrika und der muslimischen Welt ab (wobei es hier – wie ebenfalls bereits erwähnt – eine nennenswerte Schnittmenge gibt), wie lange das Wachstum der Weltbevölkerung noch andauern oder ob es bereits in wenigen Jahrzehnten zu einem Ende kommen wird. Wie schnell wird sich der demographische Wandel in den Problemregionen vollziehen? Werden sich die dort lebenden Bevölkerungsgruppen den global sonst vorherrschenden Trends, was das Reproduktionsverhalten betrifft, relativ rasch anpassen, oder werden sie „jetzt erst recht“ in einer religiös und kulturell motivierten Verstocktheit in ihren vormodernen Reproduktionsmustern verharren?

Es könnte also durchaus sein, dass Autoren wie Bricker, Ibbitson oder Randers den irrationalen Einfluss religiös-konservativer oder gar fundamentalistischer Werthaltungen unterschätzen. Beispielsweise mag die Aussage von Bricker und Ibbitson, dass sich Migranten in ihrem Reproduktionsverhalten an die Gesellschaft anpassen, in die sie eingewandert sind, für jene wohl ausgewählten Migranten, die Kanada ins Land holt (welche in der Regel auch ein höheres Bildungsniveau als die restliche Bevölkerung aufweisen), stimmen. Für die nach Europa eingewanderten Muslime stimmt sie aber zum Großteil nicht – im Schnitt liegt deren Fertilitätsrate um ein Kind pro Frau höher als in der restlichen Bevölkerung[25].  

Eines ist auf jeden Fall klar – von einem leeren Planeten, einem „empty planet“, kann noch lange keine Rede sein. Selbst im Szenario von Bricker und Ibbitson wird das 21. Jahrhundert jenes sein, das mit Abstand mit dem „vollsten Planeten“, den es jemals in der Menschheitsgeschichte gab, einhergeht. Der Titel „Empty Planet“ ist wohl bewußt reißerisch und somit auch irreführend gewählt, und verleitet relativ ahnungslose Journalisten dazu, gleich die große Entwarnung auszurufen[26].

 

Literatur

Bricker Darrell, Ibbitson John (2019): Empty Planet: The Shock of Global Population Decline, Verlag Robinson

Pew Research Center (2017): Europe's Growing Muslim Population, https://www.pewforum.org/wp-content/uploads/sites/7/2017/11/FULL-REPORT-FOR-WEB-POSTING.pdf (abgerufen am 26.12.2020)

Randers Jorgen (2012): 2052. Der neue Bericht an den Club of Rome: Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre, Oekom Verlag, München 

United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division (2019a): World Population Prospects 2019. Highlights, https://population.un.org/wpp/Publications/Files/WPP2019_Highlights.pdf (abgerufen am 26.12.2020)

United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division (2019b): World Population Prospects 2019. Volume I: Compre-hensive Tables, https://population.un.org/wpp/Publications/Files/WPP2019_Volume-I_Comprehensive-Tables.pdf (abgerufen am 26.12.2020)



[1] https://www.zitate-online.de/sprueche/historische-personen/818/die-welt-hat-genug-fuer-jedermanns-beduerfnisse.html (abgerufen am 1.2.2021)

[2] „Jährlicher Stand der Weltbevölkerung 1950 bis 2100“, http://pdwb.de/nd02.htm (abgerufen am 2.2.2021)

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Weltbevölkerung (abgerufen am 26.12.2020) 

[4] „Die Geschichte der Mobiltelefone“, https://www.wissen.de/die-geschichte-der-mobiltelefone (abgerufen am 23.11.2019); Wikipedia Artikel zu „Mobira Cityman 900“, https://en.wikipedia.org/wiki/Mobira_Cityman_900 (abgerufen am 23.11.2019) 

[5] E-Mail Aussendung vom 10.7.2018

[6] Gemeinsame Presseaussendung von Plattform Footprint, WWF und Global 2000 zum Welterschöpfungstag am 2. August 2017.

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Weltbevölkerung (abgerufen am 2.3.2025)

[8] deutsch: „Ersatzniveau der Fertilität“

[9] Definition Fertilitätsrate: „Die zusammengefasste Fruchtbarkeitsziffer bzw. Fertilitätsrate ist ein in der Demografie verwendetes Maß, das angibt, wie viele Kinder eine Frau durchschnittlich im Laufe des Lebens hätte, wenn die zu einem einheitlichen Zeitpunkt ermittelten altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern für den gesamten Zeitraum ihrer fruchtbaren Lebensphase gelten würden. Sie wird ermittelt, indem die altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern summiert und durch 1000 geteilt werden.“; Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gesamtfertilitätsrate (abgerufen am 3.2.2021).

[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Länder_nach_Geburtenrate (abgerufen am 8.12.2019)

[11] „Der Begriff demografischer Übergang (englisch demographic transition) oder demografische Transformation beschreibt in der Demografie einen typischen Verlauf der Bevölkerungsentwicklung von Staaten bzw. Gesellschaften in mehreren Phasen. Dabei sinkt zuerst die Sterberate und dann zeitlich versetzt die Geburtenrate.“; Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Demografischer_Übergang (abgerufen am 3.2.2021)

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Länder_nach_Geburtenrate (abgerufen am 8.12.2019)

[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Youth_Bulge (abgerufen am 8.12.2019)

[14] United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division (2019a)

[15] ebd., S. 5

[16] United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division (2019b), S. 29, 33. Sofern nicht anders vermerkt, stammen die Zahlen zu den UN-Szenarien im Folgenden aus dieser Quelle.

[17] ebd., S. 27

[18] https://en.wikipedia.org/wiki/Islam_by_country (abgerufen am 15.12.2019)

[19] Bricker/Ibbitson (2019)

[20] „Driving Impact in a Changing World: Empty Planet, The Shock of Global Population Decline“; https://www.youtube.com/watch?v=0XZhTLH857c (abgerufen am 26.12.2020)

[21] „Urbanization plays an important role in shifting population rates — Darrell Bricker & John Ibbitson“, https://www.youtube.com/watch?v=k5PzUzp-o10 (abgerufen am 26.12.2020)

[22] Randers (2012)

[23] ebd., S. 89

[24] Siehe: http://www.2052.info/data/ (abgerufen am 22.12.2019); hier kann eine Excel-Spreadsheet Datei mit den Berechungsannahmen und -ergebnissen des Szenarios von Randers heruntergeladen werden.

[25] Pew Research Center (2017), S. 5

[26] Zum Beispiel mit der Schlagzeile „Es ist noch viel Platz auf unserem Planeten“, von Michael Zöller, Frankfurter Allgemeine, vom 5.8.2019; https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/empty-planet-so-entwickelt-sich-die-weltbevoelkerung-16317846.html (abgerufen am 22.12.2019)

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