Sonntag, 3. November 2024

Die IPAT Formel - Kurze Geschichte und Bedeutung einer wichtigen Formel

Dieser Beitrag ist ein leicht adaptiertes Kapitel aus meinem Buch „Öko-Bilanz. Wo wir stehen, was zu tun wäre, wohin wir steuern. Ein Versuch einer nüchternen Bestandsaufnahme“ (2021, Books on Demand).

Ernst Schriefl


Anfang der 1970er-Jahre gab es in den USA in einer Ära aufkeimenden Umweltbewusstseins eine Debatte darüber, welche Einflussfaktoren am stärksten die damals zunehmend als Problem wahrgenommene Umweltverschmutzung erklären konnten. Barry Commoner, mit dem 1971 erschienenen Buch „The Closing Circle“, einem wesentlichen Werk der frühen Umweltbewegung, bekannt geworden [1], argumentierte, dass es vor allem an einer „schmutzigen“ (polluting) Technologie läge und diese für den Großteil der in der Nachkriegszeit stark gewachsenen Umweltverschmutzung verantwortlich sei. Er hatte, um den Einfluss der ökologisch problematischen Nachkriegstechnologien zu veranschaulichen, argumentiert, dass diese Technologien für 95 Prozent der damals offensichtlich gewordenen Umweltprobleme verantwortlich seien [2].

Dem hielten in einem 1972 veröffentlichten Debattenbeitrag Paul Ehrlich und John Holdren entgegen, dass die Bevölkerungsgröße und der materielle Wohlstand mindestens genau so wichtige, wenn nicht bedeutendere Einflussgrößen wären [3] (Paul Ehrlich war davor bereits mit „The Population Bomb“ bekannt geworden, ein ebenfalls sehr bedeutsamer Beitrag der frühen ökologischen Debatte [4]).

Sie prägten in diesem Beitrag zum ersten Mal die Formel I = P * A * T, eine Formel, die zumindest in Kreisen ökologisch Interessierter eine gewisse Berühmtheit erlangte. I steht für Human Impact on the Environment, P für Population, A für Affluence, und T für Technology. Diese Formel drückt aus, dass sich die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die natürliche Umwelt (= I, human impact on the environment) als Produkt von drei Faktoren beschreiben lassen: der Bevölkerungsgröße (P), dem materiellen Reichtum pro Kopf (A wie Affluence, bedeutet übersetzt: Wohlstand, Reichtum, Überfluss), und der Technologie (T).

Die Formel lässt sich beispielsweise so verstehen: Je größer die Bevölkerung, je größer der materielle Reichtum pro Kopf und je „schmutziger“ bzw. umweltbelastender die Technologie (im Schnitt) ist, desto größer ist der negative Einfluss menschlicher Aktivitäten auf die natürliche Umwelt.

Eine präzisere Formulierung der IPAT-Formel besteht in der Form:

Environmental Impact (I) = Population x (GDP per person) x (Environmental Impact per unit of GDP) bzw. übersetzt:

Umweltauswirkungen = Bevölkerungsgröße x (BIP pro Person) x (Umweltauswirkungen pro Einheit des BIP).

Der „Environmental Impact“ (I) bzw. die Umweltauswirkungen können durch verschiedene Größen beschrieben werden, wie beispielsweise durch kumulierte CO2-Emissionen oder den Ökologischen Fußabdruck. Der Faktor A (Affluence) wird in obiger Formel durch die Wirtschaftsleistung bzw. das BIP (Bruttoinlandsprodukt) pro Person ausgedrückt, der Faktor T (Technologie) durch die Umweltauswirkungen pro Einheit des BIP, also beispielsweise CO2-Emissionen pro Einheit des BIP, falls diese als Maß für die Bewertung der Umweltauswirkungen herangezogen werden.

Dieser Technologiefaktor lässt sich auch als Maß für die technische Effizienz auffassen – falls der Wert dieses Faktors sinkt, werden die Umweltauswirkungen pro Wirtschaftsleistung reduziert, die Wirtschaft wird also in dieser Hinsicht effizienter und kann den gleichen materiellen Wohlstand mit weniger Umweltauswirkungen beziehungsweise Ressourcenverbrauch herstellen.


Während der Technologie zunächst der Schwarze Peter zugeschoben wurde (wie auch Barry Commoner in „The Closing Circle“ argumentierte), wandelte sich die Bewertung der Technologie im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer mehr ins Positive. Diese wurde zum Hoffnungsträger, wohl auch beflügelt durch erste Erfolge auf dem Gebiet des technischen Umweltschutzes (wie die Entwicklung des Abgaskatalysators).

Da eine Einflussnahme auf die Bevölkerungsgröße beziehungsweise auf die Geburtenrate als sehr unpopulär und restriktiv gilt (unter anderem, weil dies als besonders gravierende Einschränkung der persönlichen Freiheit empfunden wird) und es auch in der Regel erwünscht ist, dass der Wohlstand pro Kopf wachse (insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern), richteten sich Fokus und Hoffnung immer mehr auf die Technologie.

Diese Rolle der Technologie als Hoffnungsträger wird auch in einer Publikation wie „Faktor Vier. Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch“ [5] oder dem Nachfolgewerk „Faktor Fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum“ [6] deutlich veranschaulicht. Hier wird anhand zahlreicher Beispiele gezeigt, dass die technische Effizienz beziehungsweise die Ressourcenproduktivität drastisch verbessert werden könnte, nämlich um einen Faktor 4 oder 5. Das heißt, dass es möglich sein sollte, den gleichen Wohlstand, den gleichen Nutzen mit deutlich weniger Einsatz von Energie und Rohstoffen zu erzeugen (eben mit einem Viertel oder einem Fünftel). Ob die Technologie diese Rolle als Hoffnungsträger einlösen kann, ist jedoch höchst fraglich – insbesondere in dem optimistischen Sinn, wie Weizsäcker und Lovins dies meinen (damit beschäftigen sich auch einige Beiträge in diesem Blog).


In einem Rückblick („The History of IPAT“) hebt John Holdren hervor, dass er und Paul Ehrlich bereits zu Beginn der Debatte Anfang der 1970er-Jahre auf eine ausgewogene Sichtweise Wert gelegt hatten [7]:

Darin vertraten wir die Position, dass ALLE Faktoren (Bevölkerung, Wohlstand, Technologie, sozioökonomische Variablen) wichtig sind, dass sie zusammenwirken und dass die Vernachlässigung eines dieser Faktoren oder ihrer Wechselwirkungen gefährlich ist. Hier sind einige Zitate aus unserem Paper von damals:

„Probleme der Bevölkerungsgröße und des Bevölkerungswachstums, der Ressourcennutzung und -erschöpfung und der Umweltzerstörung müssen gemeinsam und auf globaler Basis betrachtet werden. In diesem Zusammenhang ist die Bevölkerungskontrolle offensichtlich kein Allheilmittel – sie ist notwendig, aber allein nicht ausreichend, um uns durch die Krise zu führen. […] Es ist an der Zeit zuzugeben, dass es keine monolithischen Lösungen für die Probleme gibt, mit denen wir konfrontiert sind. In der Tat müssen, wenn es eine erstrebenswerte Zukunft geben soll, ALLE im Folgenden genannten Ziele erreicht werden: Bevölkerungskontrolle, die Neuausrichtung der Technologie, der Übergang von offenen zu geschlossenen Ressourcenkreisläufen und die gerechte Verteilung von Chancen und des Wohlstands. Ein Scheitern in einem dieser Bereiche wird mit Sicherheit das ganze Unterfangen sabotieren.““


In der Tradition von Ehrlich und Holdren gehe ich (bzw. gehen wir) von der Grundannahme aus, dass sich alle drei Einflussgrößen der IPAT-Formel (Population, Affluence, Technology) in eine günstige Richtung entwickeln müssen, damit wir tatsächlich „Nachhaltigkeit“ oder zumindest eine klare Trendwende in eine ökologisch nachhaltigere Richtung erreichen können. Beziehungsweise können Maßnahmen- oder Politikvorschläge danach bewertet werden, inwieweit sie P, A und T beeinflussen.

 

 

Literatur

Commoner Bary (1971): The Closing Circle. Nature, Man, and Technology, Alfred A. Knopf, New York

Ehrlich Paul (1968): The Population Bomb, Ballantine Books, New York

Ehrlich Paul R., Holdren John P. (1972): A bulletin dialogue on the 'Closing Circle': Critique: One-dimensional ecology, Bulletin Of The Atomic Sci-entists 28(5), May 1972, S. 16-27

Holdren John P. (2018): A Brief History of „IPAT“, The Journal of Popula-tion and Sustainability, Vol. 2, No. 2, (Spring 2018), S. 66-74, https://jpopsus.org/wp-content/uploads/2019/02/Holdren-2018-JPS-V2N2.pdf (abgerufen am 12.11.2020)

v. Weizsäcker Ernst Ulrich, Lovins Amory, Lovins Hunter (1995): Faktor Vier. Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch, Droemer Knaur

v. Weizsäcker Ernst Ulrich, Hargroves Karlson, Smith Michael (2010): Faktor Fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum, Droemer Verlag, München



[1] Commoner (1971)

[2] Holdren (2018)

[3] Ehrlich/Holdren (1972)

[4] Ehrlich (1968)

[5] v. Weizsäcker et al. (1995)

[6] v. Weizsäcker et al. (2010)

[7] Holdren (2018), eigene Übersetzung

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Die IPAT Formel - Kurze Geschichte und Bedeutung einer wichtigen Formel

Dieser Beitrag ist ein leicht adaptiertes Kapitel aus meinem Buch „Öko-Bilanz. Wo wir stehen, was zu tun wäre, wohin wir steuern. Ein Versuc...