Dieser Beitrag ist ein leicht adaptiertes Kapitel aus meinem Buch „Öko-Bilanz. Wo wir stehen, was zu tun wäre, wohin wir steuern. Ein Versuch einer nüchternen Bestandsaufnahme“ (2021, Books on Demand).
Ernst Schriefl
Anfang
der 1970er-Jahre gab es in den USA in einer Ära aufkeimenden Umweltbewusstseins
eine Debatte darüber, welche Einflussfaktoren am stärksten die damals zunehmend
als Problem wahrgenommene Umweltverschmutzung erklären konnten. Barry Commoner,
mit dem 1971 erschienenen Buch „The Closing Circle“, einem wesentlichen Werk
der frühen Umweltbewegung, bekannt geworden [1],
argumentierte, dass es vor allem an einer „schmutzigen“ (polluting) Technologie
läge und diese für den Großteil der in der Nachkriegszeit stark gewachsenen
Umweltverschmutzung verantwortlich sei. Er hatte, um den Einfluss der
ökologisch problematischen Nachkriegstechnologien zu veranschaulichen,
argumentiert, dass diese Technologien für 95 Prozent der damals offensichtlich
gewordenen Umweltprobleme verantwortlich seien [2].
Dem
hielten in einem 1972 veröffentlichten Debattenbeitrag Paul Ehrlich und John
Holdren entgegen, dass die Bevölkerungsgröße und der materielle Wohlstand
mindestens genau so wichtige, wenn nicht bedeutendere Einflussgrößen wären [3]
(Paul Ehrlich war davor bereits mit „The Population Bomb“ bekannt geworden, ein
ebenfalls sehr bedeutsamer Beitrag der frühen ökologischen Debatte [4]).
Sie
prägten in diesem Beitrag zum ersten Mal die Formel I = P * A * T, eine Formel,
die zumindest in Kreisen ökologisch Interessierter eine gewisse Berühmtheit
erlangte. I steht für Human Impact
on the Environment, P für Population,
A für Affluence, und T
für Technology. Diese Formel drückt aus, dass
sich die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die natürliche Umwelt (= I,
human impact on the environment) als Produkt von drei Faktoren beschreiben
lassen: der Bevölkerungsgröße (P), dem materiellen Reichtum pro Kopf (A wie
Affluence, bedeutet übersetzt: Wohlstand, Reichtum, Überfluss), und der
Technologie (T).
Die
Formel lässt sich beispielsweise so verstehen: Je größer die Bevölkerung, je
größer der materielle Reichtum pro Kopf und je „schmutziger“ bzw.
umweltbelastender die Technologie (im Schnitt) ist, desto größer ist der
negative Einfluss menschlicher Aktivitäten auf die natürliche Umwelt.
Eine
präzisere Formulierung der IPAT-Formel besteht in der Form:
Environmental
Impact (I) = Population
x (GDP per person) x (Environmental Impact per unit of GDP)
bzw. übersetzt:
Umweltauswirkungen = Bevölkerungsgröße x (BIP pro Person)
x (Umweltauswirkungen pro Einheit des
BIP).
Der
„Environmental Impact“ (I) bzw. die Umweltauswirkungen können durch
verschiedene Größen beschrieben werden, wie beispielsweise durch kumulierte CO2-Emissionen
oder den Ökologischen Fußabdruck. Der Faktor A (Affluence) wird in obiger
Formel durch die Wirtschaftsleistung bzw. das BIP (Bruttoinlandsprodukt) pro
Person ausgedrückt, der Faktor T (Technologie) durch die Umweltauswirkungen pro
Einheit des BIP, also beispielsweise CO2-Emissionen pro Einheit des
BIP, falls diese als Maß für die Bewertung der Umweltauswirkungen herangezogen
werden.
Dieser
Technologiefaktor lässt sich auch als Maß für die technische Effizienz
auffassen – falls der Wert dieses Faktors sinkt, werden die Umweltauswirkungen
pro Wirtschaftsleistung reduziert, die Wirtschaft wird also in dieser Hinsicht
effizienter und kann den gleichen materiellen Wohlstand mit weniger
Umweltauswirkungen beziehungsweise Ressourcenverbrauch herstellen.
Während
der Technologie zunächst der Schwarze Peter zugeschoben wurde (wie auch Barry
Commoner in „The Closing Circle“ argumentierte), wandelte sich die Bewertung
der Technologie im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer mehr ins Positive. Diese
wurde zum Hoffnungsträger, wohl auch beflügelt durch erste Erfolge auf dem Gebiet
des technischen Umweltschutzes (wie die Entwicklung des Abgaskatalysators).
Da
eine Einflussnahme auf die Bevölkerungsgröße beziehungsweise auf die
Geburtenrate als sehr unpopulär und restriktiv gilt (unter anderem, weil dies
als besonders gravierende Einschränkung der persönlichen Freiheit empfunden
wird) und es auch in der Regel erwünscht ist, dass der Wohlstand pro Kopf
wachse (insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern), richteten sich
Fokus und Hoffnung immer mehr auf die Technologie.
Diese
Rolle der Technologie als Hoffnungsträger wird auch in einer Publikation wie
„Faktor Vier. Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch“ [5]
oder dem Nachfolgewerk „Faktor Fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum“ [6]
deutlich veranschaulicht. Hier wird anhand zahlreicher Beispiele gezeigt, dass
die technische Effizienz beziehungsweise die Ressourcenproduktivität drastisch
verbessert werden könnte, nämlich um einen Faktor 4 oder 5. Das heißt, dass es
möglich sein sollte, den gleichen Wohlstand, den gleichen Nutzen mit deutlich
weniger Einsatz von Energie und Rohstoffen zu erzeugen (eben mit einem Viertel
oder einem Fünftel). Ob die Technologie diese Rolle als Hoffnungsträger
einlösen kann, ist jedoch höchst fraglich – insbesondere in dem optimistischen
Sinn, wie Weizsäcker und Lovins dies meinen (damit beschäftigen sich auch
einige Beiträge in diesem Blog).
In
einem Rückblick („The History of IPAT“) hebt John Holdren hervor, dass er und
Paul Ehrlich bereits zu Beginn der Debatte Anfang der 1970er-Jahre auf eine
ausgewogene Sichtweise Wert gelegt hatten [7]:
„Darin
vertraten wir die Position, dass ALLE Faktoren (Bevölkerung, Wohlstand,
Technologie, sozioökonomische Variablen) wichtig sind, dass sie zusammenwirken
und dass die Vernachlässigung eines dieser Faktoren oder ihrer Wechselwirkungen
gefährlich ist. Hier sind einige Zitate aus unserem Paper von damals:
„Probleme der Bevölkerungsgröße und des Bevölkerungswachstums, der Ressourcennutzung und -erschöpfung und der Umweltzerstörung müssen gemeinsam und auf globaler Basis betrachtet werden. In diesem Zusammenhang ist die Bevölkerungskontrolle offensichtlich kein Allheilmittel – sie ist notwendig, aber allein nicht ausreichend, um uns durch die Krise zu führen. […] Es ist an der Zeit zuzugeben, dass es keine monolithischen Lösungen für die Probleme gibt, mit denen wir konfrontiert sind. In der Tat müssen, wenn es eine erstrebenswerte Zukunft geben soll, ALLE im Folgenden genannten Ziele erreicht werden: Bevölkerungskontrolle, die Neuausrichtung der Technologie, der Übergang von offenen zu geschlossenen Ressourcenkreisläufen und die gerechte Verteilung von Chancen und des Wohlstands. Ein Scheitern in einem dieser Bereiche wird mit Sicherheit das ganze Unterfangen sabotieren.““
In
der Tradition von Ehrlich und Holdren gehe ich (bzw. gehen wir) von der
Grundannahme aus, dass sich alle drei Einflussgrößen der IPAT-Formel
(Population, Affluence, Technology) in eine günstige Richtung entwickeln
müssen, damit wir tatsächlich „Nachhaltigkeit“ oder zumindest eine klare
Trendwende in eine ökologisch nachhaltigere Richtung erreichen können.
Beziehungsweise können Maßnahmen- oder Politikvorschläge danach bewertet
werden, inwieweit sie P, A und T beeinflussen.
Literatur
Commoner Bary (1971): The Closing Circle.
Nature, Man, and Technology, Alfred A. Knopf, New York
Ehrlich Paul (1968): The Population Bomb,
Ballantine Books, New York
Ehrlich Paul R., Holdren John P. (1972): A
bulletin dialogue on the 'Closing Circle': Critique: One-dimensional ecology,
Bulletin Of The Atomic Sci-entists 28(5), May 1972, S. 16-27
Holdren John P. (2018): A Brief History of
„IPAT“, The Journal of Popula-tion and Sustainability, Vol. 2, No. 2, (Spring
2018), S. 66-74, https://jpopsus.org/wp-content/uploads/2019/02/Holdren-2018-JPS-V2N2.pdf
(abgerufen am 12.11.2020)
v. Weizsäcker Ernst Ulrich, Lovins Amory,
Lovins Hunter (1995): Faktor Vier. Doppelter Wohlstand – halbierter
Naturverbrauch, Droemer Knaur
v. Weizsäcker Ernst Ulrich, Hargroves Karlson,
Smith Michael (2010): Faktor Fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum,
Droemer Verlag, München
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