Dieser Beitrag ist ein von Bruno Kern leicht adaptiertes und übersetztes Kapitel aus dem Buch "Factors of Conflict and Conditions of Peace" (Saral Sarkar, 2024, Books on Demand).
Saral Sarkar
Wir wissen, dass wir modernen Menschen insgesamt im Laufe
des drei- bis viertausend Jahre währenden Zeitalters der Zivilisation
versuchen, unsere Wünsche leicht zu erfüllen, indem wir mehr produzieren, und
nicht so sehr, indem wir weniger begehren. Dies ist der Weg zum Wohlstand, den
bereits unsere Vorfahren, die die ersten jungsteinzeitlichen Bauern wurden,
einschlugen. In der Vergangenheit gab es natürlich einige asketische Mönche und
Weise, die dem anderen Weg folgten und wenig begehrten. Doch sie waren immer
eine verschwindende Minderheit. Und heute stimmt kaum jemand dieser „Zen-Strategie“
zu, nicht einmal die Mönche in Klöstern.
Doch es mag auch sein, dass der Druck einer langsam
wachsenden Bevölkerung unsere Vorfahren nach und nach zwang, immer mehr zu produzieren. In diesem Falle produzierten sie
kaum irgendeinen Wohlstand. Und wenn es ihnen gelang, mehr zu produzieren, aber
gerade genug, um die bloßen materiellen Wünsche ihrer zahlreicher werdenden
Bevölkerung zu befriedigen, dann erreichten sie das kaum auf leichte Art und
Weise.
Historiker, die sich mit Demografie beschäftigen, haben gezeigt,
dass die Weltbevölkerung seit der Jungsteinzeit vor etwa 10.000 Jahren
kontinuierlich, aber sehr langsam, zugenommen hat, bis wir in den letzten
Jahrhunderten ein exponentielles und zeitweise sogar überexponentielles
Wachstum zu verzeichnen hatten.
Hier nur einige Zahlen aus den letzten Jahrzehnten: Im Jahr
1960 betrug die Zahl der Weltbevölkerung 3 Mrd., 1974 4 Mrd., 1987 5 Mrd., 1999
6 Mrd. 2011 7 Mrd. (Schriefl 2021, 60). Und nun sind wir bereits bei mehr als 8
Mrd. angelangt.
Parallel zum Bevölkerungswachstum fanden einige andere
Prozesse innerhalb der menschlichen Welt als ganzer, aber mehr oder weniger
auch in jedem einzelnen Land statt.
Primatenforscher sagen uns, dass Schimpansen Hammer und
Amboss erfanden, um Nüsse zu knacken, und aus dünnen Zweigen Werkzeuge machten,
um essbare Ameisen aus einem Ameisenhügel zu holen. Bei den Menschen
entwickelte sich der Prozess des Erfindens und Fabrizierens von Werkzeugen
kontinuierlich auf einem weit höheren Niveau und immer schneller. Dadurch wurde
die Produktion der für das Leben grundlegenden Güter tatsächlich leichter.
Immer bessere und immer mehr Werkzeuge versetzten uns in die Lage, einen
Überschuss zu produzieren, was unter anderem dazu führte, dass immer weniger
Menschen an Hunger starben und die Bevölkerung schneller als zuvor wuchs.
Not, das heißt Hunger, war die Mutter der Erfindungen
gewesen, wie es sprichwörtlich heißt. Doch in den folgenden Jahrhunderten und
Jahrtausenden gewann der ursprüngliche Erfindergeist ein Momentum und
entwickelte eine Eigendynamik. Und er zielte zunehmend darauf ab, bessere
Waffen für den Krieg zu produzieren sowie neue „Bedürfnisse“ und Wünsche zu
befriedigen, die der menschlichen Vorstellungskraft selbst entsprangen. Ein
Marxist würde sagen: Grundbedürfnisse stehen in Relation zum Entwicklungsstand
der Produktivkräfte. Otto Ullrich brachte dies prägnant, aber kritisch und in
einem anderen Kontext auf den Punkt:
Bei einem System, das
Bedürfnisse über materielle Produkte zu befriedigen versucht, wird es [...] für jede erreichte Stufe des
„materiellen Wohlstands“ immer wieder neu ungedeckte materielle
Grundbedürfnisse geben, vor allem auch, weil dieses System notwendigerweise
sehr erfinderisch ist in der Produktion neuer Luxusgüter, die dann Vorbilder
werden für neue „Grundbedürfnisse“. Dieses System wird immer zu arm sein [...]. Was vorgestern das Radio war, war
gestern der Schwarzweiß-Fernseher, ist heute das Farbgerät und wird morgen die
dreidimensionale Bildproduktionsanlage sein. (Ullrich 1979, 108)
Linke aller Schattierungen werden dem kapitalistischen
System und seinem Streben, durch Werbung immer mehr neue Bedürfnisse zu
erzeugen, die Schuld geben. Doch ein griechischer Mythenschreiber war es, der
Ikarus und Daedalus erfand, die wie Vögel flogen, und es war Jules Verne, der
sich eine Reise zum Mond ausdachte. Keiner von beiden war ein Kapitalist.
Grenzen des Wachstums
Der Wettlauf von Bevölkerungs- und Produktivitätswachstum
mittels immer mehr Verwendung von immer besseren Werkzeugen und anderer
Maßnahmen wie Bewässerung, Manufaktur und Vier-Felder-System stieß an seine
Grenzen. Als diese Grenze erreicht war, musste das Bevölkerungswachstum zu
einer extensiven Landwirtschaft führen: Immer mehr Land kam unter den Pflug,
immer mehr Vieh war in den Ställen, es kam zur Auswanderung in noch schwach
besiedelte Länder und schließlich zur Eroberung neuer Kontinente und zum
Kolonialismus. Die überschüssige Bevölkerung Europas wurde in die eroberten
Kontinente ausgelagert, die keinesfalls terra
nullius (Land, das keinem gehört, unbesiedeltes Land) waren. Diese Besiedlung
erfolgte durch Tötung, zum Teil durch eingeschleppte Krankheiten, oder durch
Vertreibung der indigenen Bevölkerung in immer unwirtlichere Gegenden. Dies
alles ist bekannte Geschichte.
Selbst für die Kreuzzüge, angeblich Militärexpeditionen zur
Befreiung Jerusalems von muslimischer Herrschaft, war die Überbevölkerung den
Historikern zufolge ein wichtiger Faktor. Die große Überzahl jüngerer Söhne des
europäischen Adels war natürlich Ritter, doch sie hatten angesichts des
geltenden Erbrechts weder die Chance auf ihr eigenes Territorium noch wollten
sie Mönche oder Priester werden. In den Kreuzzügen sahen sie eine Gelegenheit,
ihr eigenes Territorium zu bekommen. Sie waren es, die die Expeditionen
anführten. Und die überzählige Landbevölkerung folgte ihnen ebenfalls als
Fußsoldaten in Begleitung ihrer ganzen Familie und ihres Anhangs, um der Armut zu Hause zu entfliehen.
Der Historiker Robert Bartlett bestätigt diese Deutung der
Kreuzzüge: Im 11. Jahrhundert war es aufgrund von günstigen klimatischen Bedingungen
und neuen technischen Entwicklungen der Landbewirtschaftung in einigen
europäischen Ländern zu einer Bevölkerungsexplosion gekommen. Dies führte auch
zu einer Ausdehnung an den Rändern Europas.
Dies war teilweise auch während der Eroberung Spaniens durch
die Völker der iberischen Halbinsel der Fall. Jüngere Söhne aus einem
Adelsgeschlecht und junge Leute aus der armen Unterschicht ergriffen die
Initiative zur Kolonialisierung des amerikanischen Kontinents.
Malthus lag nicht
falsch
Thomas R. Malthus war der erste Ökonom, der – meiner Meinung
nach überzeugend – das Bevölkerungsproblem theoretisch zu fassen versuchte.
Doch er wurde von Linken aller Schattierungen, von Feministinnen, von Marx und
Engels höchstpersönlich und in jüngerer Zeit auch von vielen Leuten beschimpft,
die für sich in Anspruch nehmen ÖkologInnen oder UmweltaktivistInnen zu sein.
Er wurde als ein Konservativer, ja schlimmer noch, als Sprachrohr und Lobbyist
der Bourgeoisie und des Landadels abgestempelt. Am meisten wurde er aufgrund
eines Absatzes in einer der ersten Ausgaben seines Buches Das Bevölkerungsgesetz gescholten. Er fühlte sich gezwungen,
diesen Absatz in den weiteren Auflagen zu tilgen. Er lautet
folgendermaßen:
Ein Mensch [...], der in
einer schon okkupierten Welt geboren wird, wenn seine Familie nicht die Mittel
hat, ihn zu ernähren, oder wenn die Gesellschaft seine Arbeit nicht nötig hat,
dieser Mensch hat nicht das mindeste Recht, irgendeinen Teil von Nahrung zu
verlangen, und er ist wirklich zu viel auf der Erde. Bei dem großen Gastmahle
der Natur ist durchaus kein Gedeck für ihn gelegt. Die Natur gebietet ihm
abzutreten, und sie säumt nicht, selbst diesen Befehl zur Ausführung zu
bringen. (Blanqui 1971, 105–106)
In den 1950er- und 1960er-Jahren bin ich in Indien vielen
solchen hungernden Menschen begegnet. Natürlich hatten sie ein moralisches Recht auf Nahrung, denn
schließlich waren es nicht sie selbst, die sich entschlossen haben, geboren zu
werden. Ihre Eltern waren es, die sie in die bereits okkupierte Welt hinein
brachten. Sie waren bereit, ihre Arbeitskraft im Tausch gegen Nahrung zur
Verfügung zu stellen. Doch weder ihre Eltern noch die Gesellschaft als ganze
konnten dieser moralischen Forderung entsprechen. Natürlich kümmerten sich
viele nicht darum, und viele taten so, als würden sie das einfach nicht sehen.
Jeder, der sich nicht abwendet und sehen will, kann die
Hunderttausenden hungriger, vertriebener oder vor Dürre, Krieg und Gewalt in
den Regionen Afrikas, des Mittleren Ostens, Zentralamerikas, Südasiens usw.
fliehender Menschen sehen, die sich in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer
drängen. Millionen anderer – arbeitslose junge Männer und Frauen aus solchen
Ländern, Leute ohne Perspektive –, die bereit sind, im Tausch für ein besseres
Leben zu arbeiten, geben ihre Würde preis und riskieren sehr oft sogar ihr
Leben, wenn sie versuchen, die Grenzen nach Europa und Nordamerika auf
illegalem Weg zu überschreiten.
Um Malthusʼ Bevölkerungsgesetz verstehen und würdigen zu
können, müssen wir dieses Gesetz zunächst wiedergeben und dann interpretieren.
„Die Bevölkerung wächst, wenn keine Hemmnisse auftreten, in geometrischer
Reihe. Die Unterhaltsmittel nehmen nur in arithmetischer Reihe zu.“ (Malthus
1977, 18). Mit „Unterhaltsmittel“ meint Malthus in seinem Buch Nahrung. William
Catton meint dazu:
Malthusʼ wirklich
grundlegendes Prinzip ist so wichtig, dass es in der genaueren Terminologie der
modernen Ökologie neu formuliert werden muss. Es stellt ein Verhältnis der
Ungleichheit zwischen zwei Variablen fest. Des kumulativen biotischen Potenzials
der Spezies Mensch und der Tragfähigkeit seines Lebensraumes. (Catton 1980,
126)
Malthus fügt auch die Einschränkung hinzu: „wenn keine
Hemmnisse auftreten“, womit er sagen will: potenziell.
Wir wissen, dass die Natur in einer natürlichen Umgebung dafür sorgt, dass jede
Generation einer jeden lebendigen Spezies einschließlich der menschlichen,
Nachkommen (oder Samen) in einem viel höheren Maß als dem der Ersetzung
produzieren kann. Man könnte fast sagen, dass dieser Überschuss dazu gedacht
ist, der Spezies des jeweiligen Fressfeinds zum Opfer zu fallen, oder aus
verschiedenen Gründen nicht überleben kann. Das ist ein Prozess, der als
Hemmung des nummerischen Wachstums der Spezies der Beute funktioniert. Was die
Menschen betrifft, so wissen wir, dass es immer noch Länder gibt, in denen die
Bevölkerung sehr rasch wächst, weil die Hemmnisse des Wachstums sehr schwach
oder gar nicht vorhanden sind. Und es gibt Länder, in denen die
Bevölkerungszahl zurückgeht, weil die indirekten Hemmnisse dort, wie zum
Beispiel hohe Kosten für ein besseres Leben, zu viele oder zu stark sind.
Uns modernen Menschen ist es – dank unserer Intelligenz und
dank raffinierter Werkzeuge und Waffen – gelungen, alle gegenwärtigen und
potenziellen Gefahren zu bannen sowie alle möglichen und tatsächlichen
Fressfeinde zu unterwerfen bzw. zu reduzieren, wenn nicht gar auszutilgen.
Darin hatten wir so großen Erfolg, dass wir nun sogar einige Spezies, die uns
potenziell Schaden zufügen könnten, wie etwa den Tiger, den Wolf und den Löwen,
retten müssen. Doch abgesehen vom natürlichen Tod und einigen Naturereignissen
außerhalb unserer Kontrolle (Erdbeben, Epidemien, unheilbarer Krankheiten,
usw.) gibt es Gefahren und Ursachen einer Dezimierung, die wir Menschen selbst
heraufbeschworen haben. Das sind die – wenn auch sehr schwachen – Hemmnisse, die bis jetzt dafür sorgen, dass
unsere Population nicht noch schneller wächst.
An erster Stelle unter diesen Hemmnissen sind Kriege aller
Art zu nennen. Dann folgen Umweltverschmutzung und die globale Erwärmung, die
zu Klimakatastrophen führt. Dies sind die am besten bekannten und anerkannten
vergangenen und potenziellen Ursachen unserer Dezimierung. So schätzt man etwa,
dass die Bevölkerung Mitteleuropas, das heißt aus dem Gebiet des damaligen
Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, während des Dreißigjährigen
Krieges (1618–1648) um etwa 45 % dezimiert wurde. Andere Schätzungen sprechen
von acht Millionen Toten einer Gesamtbevölkerung, die 16 Millionen zählte. Und
heute befürchten viele WissenschaftlerInnen, dass die globale Erwärmung, der
Klimawandel, die Umweltverschmutzung und der Schwund der Artenvielfalt den
Planeten für Menschen unbewohnbar machen könnten.
Der Genozid in Ruanda
– ein Worst-case-Szenario im Malthusʼschen Sinne
Wie recht Malthus hatte und wie viel die demografische
Entwicklung immer noch mit der Dezimierung der Bevölkerung zu tun hat, kann am
besten am Fallbeispiel des Konflikts zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda veranschaulicht werden, der im Jahr 1994
seinen Höhepunkt in einem Genozid fand, im Verlauf dessen etwa 800.000 Tutsi
von den Hutu getötet wurden. Ich möchte hier nicht die ganze Geschichte dieses
Genozids erzählen. Das haben viele kompetente Autoren bereits getan (vgl.
Diamond 2006, 387–408; Diessenbacher 1998, 15–30). Stattdessen werde ich
lediglich die Fakten und Zahlen hervorheben, die für meine Aussageabsicht
relevant sind.
Im Jahr 1993 betrug die Bevölkerung Ruandas 6,84 Millionen
und wuchs um 3,1 % pro Jahr. Die Menschen lebten auf einem Gebiet von einer
Gesamtfläche von 26.338 km2. Mit 260 Menschen pro Quadratkilometer
wies das Land eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt auf. Die
Fertilitätsrate betrug im Jahr 1993 6,5 Geburten pro Frau.
Das fruchtbare Land Ruandas, ein angemessener Regenfall und
das milde Klima sind recht günstig für das landwirtschaftliche Wachstum. Die
Höhe, auf der das Land liegt, hielt die Malaria fern. Dennoch wurden die
Vorteile all dieser günstigen Umstände durch die hohe Rate des
Bevölkerungswachstums wieder zunichte gemacht. Im Jahr 1990 lebten etwa 94 %
der Bevölkerung auf dem Land. Und die meisten von ihnen mussten in nicht
landwirtschaftlichen Bereichen leben. Die Möglichkeiten, ein Einkommen
außerhalb der Landwirtschaft mittels Berufen wie etwa Zimmermann zu erzielen,
waren rar.
Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte war die Größe der
landwirtschaftlichen Betriebe klein bis sehr klein. Die großen Bauernhöfe
wurden groß genannt, weil sie mehr als ein bis zwei Acres (0,4 bis 0,8 ha)
umfassten. Die landwirtschaftliche Produktivität war aufgrund des Fehlens von
Mechanisierung und anderen modernen Bewirtschaftungsmethoden niedrig. So
pflügten zum Beispiel Bauern auf hügeligen Gebieten ihr Land den Hängen entlang
und kannten offensichtlich die Vorteile des Terrassenanbaus nicht.
Als in den 1960er-Jahren und dann wiederum 1973 viele Tutsi
getötet wurden oder flohen und ihr Land von den Hutu übernommen wurde, wuchs
die Verfügbarkeit von Nahrung pro Kopf. Viele Hutu-Bauern dachten nun, dass sie
genug Land hätten, um ihre Familien zu ernähren. Aber nach 1981 ging die
verfügbare Nahrung pro Kopf allmählich wieder zurück und sank auf das Niveau
von 1960. Das war zwangsläufig so, denn im Lauf dieser zwanzig Jahre hatte die
Bevölkerung nicht zu wachsen aufgehört.
Familienplanung war in Ruanda nicht unbekannt. Es gab sogar
ein Büro bzw. eine Behörde für Familienplanung. Doch sie war zu nichts nütze.
Sie war hauptsächlich geschaffen worden, um es ausländischen
Spenderorganisationen zu ermöglichen, Ruanda Entwicklungshilfe zukommen zu
lassen. Und auch der negative Einfluss der katholischen Kirche war allzu stark.
Jared Diamond zitiert Gerard Prunier, einen Wissenschaftler aus Ostafrika:
Die Entscheidung zum Mord
wurde natürlich von Politikern aus politischen Gründen getroffen. Aber dass sie
von ganz gewöhnlichen Bauern in ihrem ingo
[Familienanwesen] so gründlich umgesetzt wurde, lag zumindest teilweise daran,
dass auf zu wenig Land zu viele Menschen lebten und dass für die Überlebenden
mehr übrig bleiben würde, wenn ihre Zahl sich verminderte. (Diamond 2006, 405)
Diamond zitiert auch zwei andere Beobachter, nämlich
Catherine André und Jean-Philippe Platteau:
Die Ereignisse von 1994 boten
eine einzigartige Gelegenheit, auch unter Hutu-Dorfbewohnern alte Rechnungen zu
begleichen und den Grundbesitz neu zu verteilen ...Selbst heute hört man von
Ruandern nicht selten die Ansicht, ein Krieg sei notwendig, um einen
Bevölkerungsüberschuss zu beseitigen und die Zahl der Menschen in Einklang mit
den zur Verfügung stehenden Landflächen zu bringen. (Diamond 2006, 404–405)
Beenden wir nun diesen Teil der Geschichte. Nach 1994 hatten
viele Beobachter von außerhalb des Landes gedacht, dass der Genozid das
Ergebnis einer tragischen Kulmination des jahrzehntelangen hasserfüllten
Machtkampfes zwischen den beiden ethnischen Gruppen der Hutu und der Tutsi
gewesen sei. Es kann nicht geleugnet werden, dass es diesen Machtkampf und
diesen Hass gab. Das waren Tatsachen. Ebenso war es eine Tatsache, dass nach
der Machtübernahme der Hutu verschiedene Fraktionen unter ihnen entstanden, die
um die Vorherrschaft konkurrierten. Doch der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi
hätte nicht in einen solchen barbarischen Genozid münden müssen. Ich finde die
Schlussfolgerung, zu der Jared Diamond kommt, überzeugend:
Ich selbst bin daran gewöhnt,
Bevölkerungsdruck, von Menschen verursachte Umweltschäden und Dürre als letzte
Ursachen zu sehen, die bei den Menschen zu chronischer Verzweiflung führen und
das Pulver im Pulverfass darstellen. Man braucht aber auch einen unmittelbaren
Anlass, einen Funken, der das Fass zur Explosion bringt. In den meisten
Regionen Ruandas handelte es sich bei diesem Funken um ethnischen Hass,
angestachelt von zynischen Politikern, die selbst an der Macht bleiben wollten.
(Diamond 2006, 405)
Der
Israel-Palästina-Konflikt
Seit Oktober 2023 sind wir Zeugen des Krieges zwischen
Israel und der Hamas in Gaza. Auch in diesem Falle denken viele Menschen
zunächst an ethnischen oder religiösen Hass als Ursache des langlebigen
Konflikts. Einige sprechen auch von einem antikolonialen Befreiungskrieg
vonseiten der Palästinenser.
Diese Gesichtspunkte sind natürlich zum Teil richtig. Doch
die meisten Beobachter und Kommentatoren lassen die tiefere Ursache der
Unlösbarkeit des Konflikts unerwähnt, dass es sich nämlich um einen Krieg um Geburtenraten handelt. Sobald
ich mich ins Internet begab und nach der Rate des Bevölkerungswachstums der
beiden ethnischen Gruppen suchte, fand ich die folgenden Zeilen, die ich hier
wörtlich zitieren will:
Die geschätzte palästinische
Bevölkerung weltweit hat sich seit der Nakba verzehnfacht und ist von 1,37
Millionen im Jahr 1948 auf 14,3 Millionen Mitte 2022 angewachsen. Davon leben
7,1 Millionen im historischen Palästina. Das sind 49,9 % der Gesamtbevölkerung,
die sich aus Israelis und Palästinensern zusammensetzt.
Wächst auch die Bevölkerung Israels?
In diesem Krieg um
Geburtenraten mag es wie eine gute Nachricht für Israel klingen, dass man
bezüglich der Gesamtbevölkerung des Landes bis 2040 ein Wachstum um weitere
zwei Millionen vorhersagt, womit sie zwölf Millionen erreicht. Doch die
jüdische Bevölkerung wächst hauptsächlich dank einer Gemeinschaft, der Haredim
oder der Ultra-Orthodoxen.
Das heißt: Es gibt keine Lösung, bis die Bevölkerung beider
Gruppen zu wachsen aufhört. Denn verfügbares Land und verfügbare Ressourcen in
Palästina sind begrenzt.
Literatur:
Blanqui, Adolphe (1971), Geschichte der politischen Ökonomie
in Europa, Bd. 2, Glashütten.
Catton, William R. (1980), Overshoot – The Ecological Basis
of Revolutionary Change, Illinois.
Diamond, Jared (2006), Kollaps. Warum Gesellschaften
überleben oder untergehen, Frankfurt a. M.
Diessenbacher, Hartmut (1998), Kriege der Zukunft. Die
Bevölkerungsexplosion gefährdet den Frieden, München.
Malthus, Thomas R. (1977), Das Bevölkerungsgesetz (nach der
ersten Auflage London 1798), München.
Schriefl, Ernst (2021),
Ökobilanz. Wo wir stehen, was zu tun wäre, wohin wir steuern. Ein Versuch einer
nüchternen Bestandsaufnahme, Norderstedt.
Ullrich, Otto (1979), Weltniveau.
In der Sackgasse des Industriesystems, Berlin.
Wallace-Wells, David (2019), The
Uninhabitable Earth – Life After Warming, New York.