Sonntag, 3. November 2024

Die Rückkehr zum menschlichen Maß: Industrielle Abrüstung!

Rückbau statt Umbau   

Die Potenziale von erneuerbaren Energien und Effizienztechniken sind grundsätzlich beschränkt und können das derzeitige Verbrauchsniveau nicht aufrechterhalten. Wir werden in Zukunft mit wesentlich weniger Nettoenergie auskommen müssen. Der Umbau der Ökonomie muss deshalb in den reichen Industrieländern mit einem konsequenten, solidarisch gestalteten Rückbau einhergehen. Konsequente ordnungspolitische Maßnahmen können diesen unvermeidlichen Schrumpfungsprozess einleiten.   

Bruno Kern

 

Die Rede vom ökologischen „Umbau“ der Industriegesellschaft ist inzwischen über alle politischen Lager hinweg zum Gemeinplatz geworden. Unterstellt wird dabei, dass wir die nötigen Reduktionen und schließlich die CO2-Neutralität allein mittels effizienterer technischer Verfahren erreichen und dass wir die Energie, die bislang aus fossilen Quellen stammt, problemlos durch erneuerbare Energien substituieren können. Wer allerdings seriös rechnet, kommt an dem Befund nicht vorbei, dass ein Umbau zwangsläufig mit einem Rückbau einhergehen muss, dass wir den absoluten Verbrauch an Energie und anderen Ressourcen drastisch absenken müssen. Eigentlich sagt es einem der Hausverstand: Erneuerbare Energiequellen weisen eine viel geringere Energiedichte auf als fossile, sie haben ein beschränktes Potenzial und ihre ehrlich gerechnete Energiebilanz ist eher ernüchternd.

Der Endenergieverbrauch in Deutschland, der neben elektrischem Strom (er macht zurzeit lediglich 20 % aus) Raumwärme, Verkehr, Prozessenergie etc. umfasst, beträgt derzeit jährlich 2.500 TWh. Eine im Auftrag des WWF erstellte Studie hat errechnet, dass in Deutschland ein Potenzial von erneuerbaren Energien ausgeschöpft werden könnte, das kaum mehr als 700 TWh bereitstellt (WWF 2019, 9). Das wäre immerhin deutlich mehr als doppelt so viel der heute aus erneuerbaren Quellen stammenden Strommenge. Auch wenn da und dort etwas optimistischer gerechnet wird, klafft eine große Lücke zwischen unserem derzeitigen Endenergieverbrauch und dem, was uns aus einheimischen erneuerbaren Quellen theoretisch zur Verfügung steht. Allein die Umstellung der Chemieindustrie auf heutigem Niveau auf dekarbonisierte Verfahren bedingt einen zusätzlichen Strombedarf von 685 TWh, wesentlich mehr, als wir heute insgesamt an Strom erzeugen (DECHEMA/FutureCamp 2019, 9). Inzwischen wurde der Offenbarungseid längst geleistet. Gerade diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten beharrlich die Möglichkeit einer hundertprozentigen Versorgung mit erneuerbaren Energien beschworen haben, gehen offenbar davon aus, dass wir noch Jahrzehnte lang auf Erdgas angewiesen sein werden und riesige Mengen an Wasserstoff importieren müssen, wenn wir unser Industrialisierungsniveau aufrechterhalten wollen. Die Umstellung unserer Stahlproduktion, Brennstoffzellen für Schiffe, Busse, Lastkraftwagen, Flugzeuge, Stromspeicher usw. erfordern Wasserstoffmengen, die wir – davon gehen die meisten Szenarien aus – zu etwa 80 % aus anderen Ländern beziehen müssen (Kreutzfeld 2022). Allerdings: Auch in Ländern mit den günstigsten Bedingungen für Solar- und Windstrom sind die entsprechenden Potenziale nicht unbegrenzt, und vielfach mangelt es genau in den Gegenden, die für Europa in dieser Hinsicht am interessantesten sind (Nord- und Westafrika), an der für die Produktion von grünem Wasserstoff unentbehrlichen Ressource Süßwasser! Unsere Gier nach dem „Champagner der Energiewende“ geht auf Kosten der unmittelbaren Lebensbedingungen der Menschen in den potenziellen Exportländern. Es zeichnen sich jetzt schon ein neuer Imperialismus unter grünem Vorzeichen und ein gefährlicher weltweiter Konkurrenzkampf um die Ressource Wasserstoff ebenso wie um andere, für erneuerbare Energien und Verfahren unentbehrliche und knappe nicht erneuerbare Rohstoffe (Lithium, Kobalt, Grafit, Neodym, usw.) ab.


Erneuerbar heißt nicht unerschöpflich

Nicht zuletzt unter dem Handlungsdruck des Ukrainekrieges wird der Ausbau der erneuerbaren Energien zurzeit forciert vorangetrieben. An den grundsätzlich beschränkten Potenzialen kann dies allerdings nichts ändern. Dazu kommt: Der Ausbau der entsprechenden Anlagen mitsamt der erforderlichen Infrastruktur ist zunächst selbst mit einem erheblichen Einsatz von Energie und Ressourcen und mit entsprechenden Emissionen verbunden. In einer Situation, in der das uns noch zur Verfügung stehende CO2-Budget in nur wenigen Jahren ausgeschöpft sein wird, haben wir es also gerade durch den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien mit einem „materiellen Rebound“ erheblichen Ausmaßes zu tun. Allein die Installation einer Windkraftanlage, die dem heutigen Standard (mit etwa 3,5 MW Leistung) entspricht, verbraucht – neben seltenen Erden wie Neodym für den Generator – ca. 150 Tonnen Stahl und bedarf darüber hinaus eines 2000 Tonnen schweren Stahlbetonsockels. Pro MW Leistung fallen überdies etwa 10 Tonnen zusätzlicher Metalle wie etwa Kupfer an.

Die öffentliche Debatte suggeriert zurzeit, dass lediglich bürokratische Hindernisse zu beseitigen wären, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen. Verschleiert wird dabei das grundsätzlich beschränkte Potenzial.[1]

Beispiel Photovoltaik: Sie trägt zurzeit etwa mit 9 % zur Stromversorgung bei und wird in Deutschland auch in Zukunft eine eher untergeordnete Rolle spielen. Sie ist jene erneuerbare Energieform, die zunächst des größten Material- und Energieinputs bedarf. Auf die Kilowattstunde bezogen ist der Ressourceneinsatz mehr als sechzigmal so hoch wie bei einem Atomreaktor. Die Energierücklaufzeit, also der Zeitpunkt, ab dem eine entsprechende Anlage Nettoenergie abwirft, der Zeitpunkt also, bis zu dem sie das an Energie erzeugt hat, was für die Anlage selbst (samt Netzintegration, usw.) nötig war, hängt wesentlich von der Anzahl der Sonnenvolllaststunden im Jahr ab. Viele Energiebilanzen setzen einfach 1800 Sonnenvolllaststunden in die Rechnung ein. In Norddeutschland sind wir aber davon weit entfernt und erreichen nicht einmal die Hälfte davon. Es gibt begründete Zweifel daran, ob – sofern man ehrlich bilanziert – Photovoltaik in Regionen wie Norddeutschland oder der Schweiz überhaupt eine positive Energiebilanz aufweisen. Die heute politisch geforderte Solarpflicht möglichst auf allen Dächern ist daher purer Unsinn.[2] Gerade aufgrund des hohen erforderlichen Energieinputs sollten Photovoltaikmodule dort installiert werden, wo sie eine genügend große Effizienz versprechen.

Zur Berechnung des EROEI (energy return on energy invested), also der Energierücklaufzeit, sei grundsätzlich vermerkt: Eine ehrliche Bilanzierung, die man allerdings meist vermeidet, wäre das emergy-Konzept, wie es etwa Howard Oddum vorschlägt. Emergy steht hier für embodied energy und meint: Anteilmäßig ist bei der Bilanzierung einer Anlage der gesamte Prozess zu berücksichtigen, der für ihre Herstellung samt Netzintegration erforderlich war, das heißt: Bezogen auf die Photovoltaik wäre anteilmäßig mit dem Bau der Fabriken zu beginnen, die die Bagger herstellen, welche den Sand schaufeln, aus dem schließlich das Silizium gewonnen wird, usw. Ehrlicherweise müsste man wegen der Volatilität der erneuerbaren Energien in die Bilanz auch die erforderlichen Speicherkapazitäten mit aufnehmen. Zu bedenken ist zudem: Der heute ermittelte EROEI ist eine Momentaufnahme, er wird sich tendenziell verschlechtern, weil der Abbau der erforderlichen Rohstoffe tendenziell immer energieintensiver wird (u. a. bedingt durch geringere Metallgehalte der Erze).

Die für Deutschland wichtigste und aussichtsreichste Form erneuerbarer Energien ist ohne Zweifel die Windenergie. Auch hier bestimmen Abstandsregelungen und andere bürokratische Hürden die öffentliche Debatte. Zwei Prozent unserer Landfläche, so lautet die derzeitige politische Vorgabe, sollten Windparks zur Verfügung stehen. Wiederum lügt man sich damit in die eigene Tasche: Abgesehen davon, dass angesichts sehr knapper Flächen, angesichts eines größeren Flächenbedarfs für eine (flächenexentensivere) ökologische Landwirtschaft, angesichts der als CO2-Senken benötigten Wälder, Moore, usw.  tatsächlich eine Nutzungskonkurrenz gegeben ist, verschleiert man hier das Problem, dass es nicht einfach um Flächen, sondern um geeignete Standorte geht! Die Effizienz einer Windkraftanlage hängt wesentlich von der Durchschnittswindgeschwindigkeit an einem bestimmten Standort ab (sechs Meter pro Sekunde lautet eigentlich die Anforderung). Dass diese Flächen knapp sind, hat bereits im Jahr 2004 Gregor Czich (Universität Kassel) im Detail aufgezeigt. Natürlich wurden tendenziell die besten Standorte zuerst genutzt. Ein bedeutendes Potenzial dürfte durch das sogenannte Repowering erschlossen werden können, also durch den Ersatz alter Windräder durch leistungsstärkere an bereits genutzten Standorten. Die verzweifelte Suche nach weiteren günstigen Standorten für Windkraftanlagen hat heute die Konsequenz, dass man ein erhebliches Maß an Naturzerstörung, zum Beispiel Abholzung in großem Stil, in Kauf nimmt – was die CO2-Bilanz eher verschlechtern dürfte. Das Beispiel Baden-Württemberg ist hier aufschlussreich: Hier gibt es keinerlei Abstandsregeln und seit 2011 einen grünen Ministerpräsidenten. In dessen ersten Koalitionsvertrag (damals noch mit der SPD) wurde die Absichtserklärung aufgenommen, 10 % des Strombedarfs aus heimischer Windkraft zu bestreiten. Nachdem man zehn Jahre später bei etwa 4,4 % gelandet war, sieht der aktuelle Koalitionsvertrag nun die Freigabe von Staatsforsten vor. Abholzung in großem Stil also in der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald! So sieht sie aus, die schöne neue Welt der erneuerbaren Energien. 

Auch das Offshore-Potenzial ist grundsätzlich begrenzt: Es ist schwierig, über eine Meerestiefe von mehr als 30 Metern hinauszugehen, und das Problem der „Verschattung“ lässt nur eine bestimmte Ausbaudichte zu. Auf  Europa bezogene Studien veranschlagen das Offshore-Potenzial auf nicht mehr als 25 % des derzeitigen Stromverbrauchs, und weltweit geht man von etwa 5000 TWh an Offshore-Potenzial aus. Dass einer der prominentesten Klimawissenschaftler, der aus einem Land mit viel Meeresküste stammt (Großbritannien), James Lovelock, angesichts dieser Aussichten zum Atomkraftbefürworter mutiert ist, darf daher nicht verwundern. Gregor Czich hingegen sieht die Lösung in riesigen Verbundnetzen, die Nordafrika ebenso umfassen wie den Kaukasus, also etwa ein Drittel der Landfläche der Erde einbeziehen. Dass dabei die Notwendigkeit des Aufbaus redundanter Strukturen die Energiebilanz verschlechtert, reflektiert er kaum. So fantastische Blüten treibt inzwischen die Verzweiflung derer, die sich der Beschränktheit der Potenziale ehrlich stellen.

In die Energiebilanz einbeziehen müsste man ehrlicherweise auch die erforderlichen Speicherkapazitäten, die dafür sorgen, dass Strom auf Abruf verfügbar ist, was für eine Industriegesellschaft unabdingbar ist.[3] Das schiere Ausmaß dieser Aufgabe stellt uns vor erhebliche Probleme. Einen hohen Effizienzgrad[4] weisen Pumpspeicherkraftwerke auf, für die allerdings die entsprechenden landschaftlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen. Keineswegs banal ist natürlich auch die Grundsatzfrage, wie viel Landschafts- und Naturzerstörung wir für unsere Energieversorgung in Kauf nehmen wollen. Sogenannte Redox-Flow-Batterien (auf der Basis von Vanadium, das zurzeit vor allem als Abfallprodukt bei der Stahlerzeugung anfällt, oder Lignin) sind ebenfalls sehr effizient, brauchen aber sehr viel Platz. Aufgrund der bereits vorhandenen Netzanbindung könnte die Installierung dieser Speicher an Standorten stillgelegter fossiler Kraftwerke eine sinnvolle Möglichkeit sein. Druckluftspeicher eignen sich nur für Kurzzeitspeicherung bis zu 48 Stunden, und Wasserstoffspeicher haben einen sehr schlechten Wirkungsgrad (etwa 20 %).

Die komplette Substituierbarkeit der fossilen Energien durch Erneuerbare ist also illusorisch. Wir sollten uns rechtzeitig darauf einstellen, dass wir in Zukunft mit erheblich weniger Nettoenergie auskommen werden müssen. Daran wird auch eine denkbare Steigerung der technischen Effizienz nicht viel ändern.

 

Effizienzrevolution?

Die Verheißungen der Effizienzrevolution hat Fred Luks mit einer einfachen Rechnung ad absurdum geführt: Wenn der Ressourcenverbrauch in den Industrienationen bis 2050 um einen Faktor 10 sinken soll (was weitgehend Konsens ist), und wenn man gleichzeitig ein bescheidenes Wirtschaftswachstum von 2 % jährlich unterstellt, dann müsste die Ressourcenproduktivität (also die Menge an Gütern und Dienstleistungen pro Einheit einer bestimmten eingesetzten Ressource) um den Faktor 27 wachsen! Ein Wirtschaftswachstum von 3 % setzt bereits eine 43-fache Energie- und Ressourceneffizienz voraus (Luks 1997). Effizienzsteigerungen sind schlicht dem Gesetz des sinkenden Ertrags unterworfen, das heißt, je mehr Effizienzpotenziale bereits ausgeschöpft sind, um so aufwändiger wird es, weitere Effizienzsteigerungen zu erzielen. Dies wird auch durch die Empirie bestätigt: In Industrieländern wie Deutschland oder Japan kann man beobachten, dass nach beeindruckenden Steigerungen der Energieeffizienz (des Verhältnisses von Energieinput und Bruttosozialprodukt) und immerhin einer zeitweiligen relativen Entkoppelung des BIP-Wachstums vom Energie- und Ressourcendurchsatz ab Mitte der Siebzigerjahre danach keine weiteren nennenswerten Effizienzerfolge erzielt werden konnten. In Deutschland ist seit etwa 2000 eine Stagnation zu beobachten (der Sonderfaktor DDR, also die Abwicklung der sehr ineffizienten Industrieanlagen im Osten Deutschlands, ist der Grund dafür, dass dieser Effekt im Vergleich zu anderen Industrieländern zeitlich verzögert auftrat), in Japan sogar schon seit Beginn der Neunzigerjahre (Minqui Li 2008, 161–162). Die genaueste Studie weltweit dazu ist wohl die der beiden Kanadier Lightfood und Green. Sie schätzen das weltweite Effizienzpotenzial vom Bezugsjahr 1990 aus gerechnet bis zum Ende unseres Jahrhunderts (also bis 2100!) weltweit auf 250 bis 330 % (u.a. zitiert bei Minqui Li 2008, 162), wobei in eine solche globale Betrachtung bislang höchst ineffiziente Regionen mit einfließen. Das ist sehr weit entfernt von den berühmten Faktor-Rechnungen eines Ernst Ulrich von Weizsäcker. Um diesen ernüchternden Befund zu verschleiern, beschränken sich die ökologisch-kapitalistischen Zweckoptimisten wie er in ihren Bestsellern immer nur auf beeindruckende Einzelbeispiele. Nach Ted Trainers Urteil beruhen selbst hier 50% auf reinen Glaubensannahmen (Trainer 2007, 115–117).

Es führt also kein Weg daran vorbei: Eine absolute Abkoppelung des für die Stabilität der kapitalistischen Ökonomie erforderlichen Wirtschaftswachstums vom Energie- und Ressourcendurchsatz ist angesichts dieses Befundes eine Illusion. Das heutige Niveau an industrieller Produktion ist mit ökologischer Nachhaltigkeit nicht vereinbar. Es muss ein möglichst rascher und konsequenter Rückbau eingeleitet werden. Diesen möglichst konkret zu beschreiben und aufzuzeigen, wie er solidarisch zu gestalten wäre, ist m. E. nun die vordringliche Aufgabe.


Industrielle Abrüstung

Sehen wir uns den Befund für einige Bereiche exemplarisch näher an[5]:

Von größter Bedeutung ist in Deutschland eine ökologische Verkehrswende. Der Verkehr ist zurzeit für etwa 20 % der Kohlendioxid-Emissionen und für einen Gesamtenergieverbrauch von etwa 750 TWh verantwortlich. Die Umstellung auf alternative Antriebe hilft da wenig. E-Fuels und Brennstoffzellen auf Wasserstoffbasis weisen einen sehr schlechten Effizienzgrad auf. Bei Letzteren werden – nach dem erforderlichen doppelten Umwandlungsprozess – weniger als 20 % der ursprünglich eingesetzten Energie in kinetische Energie umgesetzt. Die notwendige Verflüssigung und der aufwändige Transport tragen erheblich zur schlechten Energiebilanz bei.

Der zusätzliche Strombedarf für E-Autos als individuelles Massenverkehrsmittel kann aus erneuerbaren Quellen nicht gedeckt werden, zumal wenn man bedenkt, dass Kohlendioxidneutralität in anderen Bereichen einen erheblichen zusätzlichen Strombedarf bedingt – etwa wenn die Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzt werden.

In die Gesamtbilanz mit einzubeziehen ist aber darüber hinaus bereits die Automobilproduktion!  48 % des in der Erzeugung sehr energieintensiven Aluminiums (eine erzeugte Tonne frisst 14 MWh Strom!), 26 % des Stahls und 12 % der Kunststoffe fließen derzeit in die deutsche Automobilproduktion. Die vorgelagerten Ausrüstungsindustrien, die Produktion entsprechender Fertigungsmaschinen, Roboter, etc., ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Das E-Auto verschärft dieses Problem noch[6]: Die schwere Batterie, deren Erzeugung selbst bereits mit einem erheblichen CO2-Ausstoß verbunden ist (nach einer VDI-Studie 17 Tonnen, durch technische Verbesserungen will man dies in der EU bis 2030 auf 12 Tonnen absenken), muss durch mehr Leichtbauweise (mehr Aluminium, mehr Kohlenstoffverbundfasern ...) kompensiert werden, sodass ein E-Auto bereits in der Produktion erheblich mehr Energie und Ressourcen verbraucht als ein vergleichbarer Benziner oder Diesel. Laut einer recht neuen Studie des VDI muss ein E-Mittelklassewagen etwa 90.000 km gefahren sein, bis er den ökologischen Nachteil in der Produktion gegenüber einem vergleichbaren Verbrenner aufgeholt hat. Die derzeit in Deutschland zugelassenen 48 Millionen PKWs, geschweige denn die weltweit mehr als eine Milliarde Autos auf alternative Antriebe umzustellen, ist – allein schon aufgrund der Knappheit der dafür nötigen Rohstoffe wie etwa Lithium und Kobalt – schlicht absurd. Selbst Bündnis 90/Die Grünen, die in diesem Bereich tendenziell zweckoptimistisch sind, gehen davon aus, dass im Jahr 2030, also fünf Jahre vor dem von der EU-Kommission geplanten Aus für Verbrenner,  in Deutschland maximal 15 Mio. E-Autos zur Verfügung stehen. Die bis 2021 amtierende Bundesregierung veranschlagte die Anzahl der E-Autos bis 2030 der EU gegenüber nur mit 8 Mio. Angesichts dieses Befunds drängt sich aber sofort die Frage auf, wem dann das Privileg des Autofahrens noch zugestanden werden soll. Der Vorschlag der Initiative Ökosozialismus lautet deshalb: Spätestens ab dem Jahr 2030 sollten keine PKWs mehr für den rein privaten Gebrauch zugelassen werden (ausgenommen sind natürlich Einsatzfahrzeuge, Taxis inklusive Transporttaxis, Betriebsfahrzeuge für Handwerker, gemeinschaftlich verwaltete E-Auto-Pools in abgelegenen Gegenden des ländlichen Raums  ...). Das würde die Reduktion der Automobilflotte auf etwa ein Zehntel bedeuten. Ökologische Verkehrswende kann nur den konsequenten Abschied vom motorisierten Individualverkehr bedeuten. Ein entsprechender Ausbau des öffentlichen Verkehrs kann, wie das Beispiel Schweiz zeigt, auch abgelegene Siedlungen im ländlichen Raum sinnvoll anbinden.  Allerdings können wir das heutige Verkehrsaufkommen nicht im Verhältnis eins zu eins auf öffentliche Verkehrsmittel verlagern. Dies würde eine Vervielfachung der Kapazitäten bedeuten, die weder logistisch machbar noch ökologisch sinnvoll wäre. Die Reduktion der Notwendigkeit von Mobilität ist eine anspruchsvolle strukturpolitische Aufgabe. Die Eindämmung des Güterverkehrs durch eine Regionalisierung der Wirtschaft, die derzeit auch an den Vorgaben des EU-Binnenmarkts scheitert, ist unabdingbar. Darüber hinaus werden wir auch ein anderes Verhältnis zur Mobilität entwickeln und uns von bestimmten Ansprüchen verabschieden müssen (vgl. Kern 22020, 78–85; 165).

Ein weiterer Problembereich ist die Bauindustrie, die unter anderem 35 % des bei uns erzeugten Stahls verbraucht. Die Stahlerzeugung ist nicht nur mit einem erheblichen Energieverbrauch verbunden, darüber hinaus fällt auch prozessbedingt – durch die Herauslösung des Sauerstoffs – Kohlendioxid an. Nun gibt es technisch ausgereifte Verfahren, die das Reduktionsmittel Koks durch Wasserstoff ersetzen und das so gewonnene Roheisen in Elektrolichtbogenöfen zu Stahl weiterverarbeiten. Die Effizienz kann noch dadurch gesteigert werden, dass man den Wasserstoff aus Wasserdampf gewinnt und hierfür die Abwärme der Hochöfen nutzt. Doch auch bei Ausschöpfung all dieser Möglichkeiten: Dieser „grüne Stahl“ wird uns angesichts des knappen Angebots an der nötigen Energie (etwa zur Wasserstofferzeugung) nur in erheblich geringeren Mengen zur Verfügung stehen. Die Umstellung des heutigen Niveaus der Stahlproduktion auf emissionsfreie Verfahren erfordert etwa 130 TWh mehr Strom!  Allein das Thyssen-Krupp-Stahlwerk in Duisburg benötigte bei Umstellung auf dekarbonisierte Verfahren 3.500 Windräder – wesentlich mehr, als derzeit in NRW installiert sind. Die Zementherstellung – allein sie verschlingt bislang insgesamt 28 TWh Energie – ist nicht nur energieintensiv (Kalkstein muss auf 1400 Grad Celsius erhitzt werden), durch die Zerkleinerung des Kalksteins werden große Mengen von darin gebundenem CO2  prozessbedingt freigesetzt. Auch wenn man also den nötigen Energiebedarf durch alternative Verfahren verringert, betrifft dies nur den geringeren Teil des Kohlendioxidausstoßes. Wenig bekannt ist auch, dass zum Bauen geeigneter Sand (Wüstensand ist dies nicht!) inzwischen ein sehr knapper Rohstoff ist. Unausweichlich ist eine absolute Reduktion der Bautätigkeit, das heißt ein vollständiger Verzicht auf Prestigebauten und auf alles, was der alten, fossilen Infrastruktur dient. Was den nötigen Wohnraum betrifft, sind Mechanismen der Umverteilung des vorhandenen Wohnraums politisch zu entwickeln. Laut Auskunft des Statistischen Bundesamtes gibt es derzeit in Deutschland 2,3 Mio. mehr Wohnungen als Haushalte. Auch zunehmend leerstehende Gewerbebauten könnten einbezogen werden. Die Baugenehmigungsverfahren sind so zu reformieren, dass sie überzogene Größenordnungen, freistehende Einfamilienhäuser, etc. verhindern. Jenseits von Stahl und Beton müssen wir in Zukunft auf alternative Bauweisen, vor allem auf Holzbau, setzen, der inzwischen, wie unter anderem das Beispiel Österreich zeigt, hoch entwickelt ist.

Auch für die wichtige Branche Chemieindustrie gilt, dass man sie im Prinzip vollständig treibhausgasneutral gestalten könnte, dass man sowohl die prozessbedingten  (etwa durch CO2-freie Herstellung von Wasserstoff, wie er etwa für Ammoniak für die Kunstdüngerherstellung verwendet wird) als auch die durch die Wärmeerzeugung bedingten Emissionen (etwa für das sogenannte Steamcracking, mittels dessen die langen Kohlenwasserstoffverbindungen aufgespalten werden) vollständig vermeiden könnte. Auf den damit verbundenen Mehrverbrauch an Strom von 685 TWh wurde allerdings weiter oben bereits hingewiesen. Man kommt also auch in diesem Bereich um eine erhebliche Reduzierung der Gesamtproduktion nicht herum. Neben den bereits besprochenen Bereichen  Bauindustrie (22 %) und Automobilindustrie (12 %) weist derzeit vor allem die Verpackungsindustrie einen Kunststoffbedarf in erheblichem Umfang auf (35 %). Gerade in diesen Bereich aber könnte man sehr einfach ordnungspolitisch eingreifen: Ein erheblicher Anteil der heutigen Kunststoffverpackungen (Lebensmittelkonserven aller Art, Reinigungsmittel, Getränkebehälter) könnte ohne Weiteres durch entsprechende Mehrwegsysteme ersetzt werden. Einwegflaschen aus Plastik könnte man kurzerhand ebenso verbieten wie Weißblech-Aluminiumdosen. Für einen verbleibenden Rest von schwer vermeidlichen Kunststoffverpackungen könnte man durch Vorschreiben von Farb- und Sortenreinheit eine hohe Recyclingquote sicherstellen. Damit hätte man neben der Emissionsvermeidung gleichzeitig die Müllproblematik zu einem erheblichen Teil behoben.

Eine Rückkehr von der derzeitigen Agrarindustrie zu einer bäuerlichen Landwirtschaft, die auf Kunstdünger verzichten kann, macht die Ammoniak-Herstellung mittels des energieintensiven Haber-Bosch-Verfahrens überflüssig. Nur ein Herunterfahren der Produktion mithilfe solcher einschneidenden Maßnahmen wird eine vollständig emissionsfreie chemische Industrie ermöglichen.

Anhand dieser drei großen Bereiche wird exemplarisch deutlich, in welcher Dimension wir einen Rückbau von Produktion und Konsum möglichst rasch bewerkstelligen müssen. Zu betonen ist dabei, dass dies bei entsprechendem politischen Willen mit den jetzt schon zur Verfügung stehenden ordnungspolitischen Instrumenten[7] möglich ist. Klugerweise wird man, um eine Mehrheit von Menschen auf diesem schwierigen Weg mitzunehmen, mit all den Maßnahmen beginnen, die niemandes Lebensqualität tangieren, sondern schlicht kapitalistischem Leerlauf geschuldet sind. Die Verpackungsindustrie wurde bereits genannt. Die Lebensdauer eines  Großteils von Haushaltsgeräten, elektronischen Geräten, usw. könnte durch wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der „geplanten Obsoleszenz“, durch Vorschreiben von entsprechenden Gewährleistungsfristen erheblich verlängert werden, und durch Anforderungen an das Produktdesign bezüglich Reparier- und Recyclingfähigkeit im Sinne des Prinzips „cradle to cradle“ könnte man die Produktion in diesem Bereich deutlich verringern. Allerdings sollte nicht verschwiegen werden, dass ein konsequent vorangetriebener Rückbau auch eingeschliffene Konsummuster einer großen Bevölkerungsmehrheit infrage stellt. Das betrifft auch die Vielzahl digitaler Endgeräte, den heute so selbstverständlichen Besitz eines Smartphones, etc. Die Knappheit der zur Verfügung stehenden Ressourcen hat eine Verwendungskonkurrenz zur Folge. Das heißt: Wir werden uns politisch darauf verständigen müssen, wofür wir diese Ressourcen einsetzen: für den Bau von Kreuzfahrtschiffen oder für genügend MRT-Geräte in unseren Krankenhäusern (vgl. dazu Kern 22020, 158–162).

Politisch auszuhandeln wäre darüber hinaus, auf welche Produkte wir völlig verzichten wollen, weil sie keinerlei gesellschaftlichen oder individuellen Nutzen aufweisen, sondern im Gegenteil schädlich, krankmachend, gefährlich sind. An erster Stelle ist hier natürlich die Rüstungsproduktion zu nennen. Es ist an Absurdität kaum mehr zu überbieten, dass wir uns mit einem gigantischen Ressourcenaufwand auf künftige Kriege um knapper werdende Ressourcen vorbereiten (vgl. dazu vor allem Zumach 22005). Die militärische Infrastruktur (ohne Auslandseinsätze) sowie die Rüstungsindustrie verursachen weltweit schätzungsweise 5 – 6 % der Treibhausgasemissionen. Die kriegsbedingten Emissionen sind dabei noch nicht mitgezählt (vgl. Kern 2024, 177–187).  

Natürlich müssen wir diesen Rückbau solidarisch gestalten und dafür sorgen, dass die materielle Existenz der betroffenen Menschen gesichert ist. Kurzfristig wird in vielen Bereichen der Umbau einen Bedarf an Facharbeitskräften bewirken, etwa für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, für die energetische Gebäudesanierung, usw. Langfristig  bedeutet der Ausstieg aus der Industriegesellschaft, wie wir sie kennen, in etlichen Bereichen einen Mehrbedarf an menschlicher Arbeitskraft, etwa in der Landwirtschaft, in Reparaturbetrieben und im traditionellen Handwerk. Darüber hinaus besteht heute schon ein deutlicher Mehrbedarf an Arbeitskräften im Pflege- und Erziehungssektor.

Um die Menschen bei diesem gewaltigen notwendigen Rückbau der Industriegesellschaft materiell abzusichern, hat Helge Peukert vorgeschlagen, mittels Zentralbankgeld (das heißt unabhängig von den Einnahmen der kapitalistischen Wachstumsmaschine) einen sozial-ökologischen Beschäftigungssektor aufzubauen. Ein von der Zentralbank als „Schenkgeld“ ausgegebenes „bedingtes Grundeinkommen“ (im Unterschied zu einem bedingungslosen Grundeinkommen soll dies durchaus an eine notwendige, zumutbare Arbeitsleistung gekoppelt sein, etwa zur Beseitigung von Umweltschäden, etc.) kann den Menschen die mit dieser Transformationen verbundenen Existenzängste nehmen und sie zu aktiven Protagonisten dieses Wandels machen (Peukert 2021, 465–479).

)

Literatur:

Alexander, Samuel / Floyd, Joshua 2020: Das Ende der Kohlenstoff-Zivilisation. Wie wir mit weniger Energie leben können, München.

DECHEMA/FutureCamp 2019: Roadmap Chemie 2050. Auf dem Weg zu einer treibhausgasneutralen chemischen Industrie, Frankfurt a. M./ München.

Kern, Bruno 22020: Das Märchen vom grünen Wachstum. Plädoyer für eine solidarische und nachhaltige Gesellschaft, Zürich.

Kern, Bruno (2024), Industrielle Abrüstung jetzt! Abschied von den Technikillusionen, Marburg.

Kreutzfeld, Malte: Warnung vor neuem Kolonialismus, in: TAZ v. 27. 4. 2022.

Luks, Fred, Der Himmel ist nicht die Grenze, in: Frankfurter Rundschau, 21. 1. 1997.

Meier, Klaus 2020: Das Klima retten. CO2-neutrale Technologien und industrieller Rückbau, Frankfurt a. M.

Minqi Li 2008: The Rise of China and the Demise of Capitalist Word-Economy, London.

Peukert, Helge 2021: Klimaneutralität jetzt! Marburg.

Rohstoffhunger der E-Autos, in: Regenwaldreport 2/2021, 6–9.

Trainer, Ted 2007: Renewable Energy Cannot Sustain a Consumer Society, Dordrecht.

WWF (Hg.) 2019: Germanyʼs Electric Future II. Regionalization of renewable power generation, Berlin.

Zumach, Andreas 22005: Die kommenden Kriege. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn – Präventivkrieg als Dauerzustand? Köln.



[1] Zum Folgenden darf ich pauschal verweisen auf Kern 22022, 40–90, und Kern 2024, 27–54, wo ich mich detailliert mit den Energiebilanzen der erneuerbaren Energien auseinandergesetzt habe.

[2] Allerdings: Die Haben-Seite der Bilanz schlägt da zu Buche, wo die entsprechende Anlage gebaut wurde, sodass bei uns der Eindruck einer gelungenen Energiewende aufrechterhalten werden könnte. Für das Weltklima allerdings macht dies keinen Unterschied. Gerade angesichts des derzeitigen Booms von Balkonkraftwerken ist anzumerken: Die monetären Kosten spiegeln die energetischen Kosten nicht wieder, da Solarmodule größtenteils in China produziert werden, wo der Strom, der zu 60 % aus Kohlekraftwerken stammt, auf zwei Cent pro Kilowattstunde heruntersubventioniert ist und wo Arbeitskräfte wesentlich billiger sind. Hinzu kommen Dumpingpreise, über die man sich Märkte erschließen will. Die Tatsache, dass sich ein solches Balkonkraftwerk finanziell relativ rasch amortisiert, täuscht über eine in den meisten Fällen schlechte Energiebilanz hinweg. 

[3] Hierzu verweise ich vor allem auf Alexander/ Floyd 2020, 101–103.

[4] Deutlich mehr als 80 %  - wobei allerdings meistens der Idealfall voller Speicher bei Bedarf und leerer Speicher bei anfallender überschüssiger Energie unterstellt wird.

[5] Zum Folgenden verweise ich vor allem auf Meier 2020.

[6] Zur Ökobilanz von E-Autos verweise ich auf: Kern 2024, 47–53.

[7] Ich habe andernorts ausführlich begründet, warum sogenannte „marktkonforme Instrumente“, also die politische Beeinflussung der Preise durch CO2-Steuern, Emissionshandel, etc. ungeeignet sind, um diesen Rückbau zu gestalten. Neben vielen anderen Gründen ist mein Hauptargument, dass diese Instrumente nur so weit greifen, wie die entsprechenden Reduktionen durch effizientere Verfahren kompensiert werden können. Wenn es aber um absolute Reduktion der Produktion geht, erweisen sie sich als untauglich. Würde der CO2-Preis so hoch angesetzt (etwa durch eine entsprechende Ausgestaltung des Emissionshandels), dass das 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung noch eingehalten werden könnte, dann hätte dies den Zusammenbruch von wesentlichen Teilen der Industrieproduktion und ein Ende des Geschäftsmodells eines Großteils der Konzerne zur Folge. Vielfach wird auch argumentiert, dass allein ein entsprechend hoher CO2-Preis die Kohleverstromung elegant vom Markt verdrängen könnte, weil sie dann gegenüber anderen Arten der Stromerzeugung unwirtschaftlich würde. Dieses Argument wäre aber nur unter der Voraussetzung zutreffend, dass Alternativen in genügendem Maß zur Verfügung stünden! Vgl. vor allem Kern 22020, 91–115; Kern 2024, 71–91.

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